Rohmer. Beginnender Systemwechsel. 325
Ein Zeichen der Zeit war es auch, daß Friedrich Rohmer, den man
bisher oft in den Zirkeln der österreichischen Gesandtschaft gesehen hatte,
den Ultramontanen den Handschuh hinwarf. Dieser seltsame Grübler, der
halb Philosoph halb Abenteurer, halb vernünftig halb wahnsinnig, sich
selber kurzweg für die größte Persönlichkeit der Menschengeschichte erklärte,
irrte zur Zeit in Süddeutschland und der Schweiz umher, immer um—
geben von einem kleinen Kreise jugendlicher Bewunderer, die seinem despo—
tischen Wesen, dem diabolischen Reize seines Aztekenkopfes nicht widerstehen
konnten und hingebend für seinen kostspieligen Unterhalt sorgten. Er brütete
über den Bilder= und Zahlenspielen einer traumhaften Psychologie und
über einer politischen Doktrin, die den Staat, nach der alten Unart der
Naturphilosophen, als den vergrößerten menschlichen Körper betrachtete.
Seine Schrift über die vier Parteien enthielt unter krausem Unsinn nur
vereinzelte gute Gedanken; sie wurde wenig beachtet und bewirkte lediglich,
daß Rohmers namhaftester Schüler, der Schweizer J. C. Bluntschli eine Zeit-
lang auf phantastische Abwege geriet. Zuweilen vermochte Rohmer doch, aus
dem geilen Dickicht seiner Theorien in das Tageslicht hinauszutreten, und
dann zeigte er — wunderbar genug — sicheren politischen Instinkt, eine
glückliche Gabe, die Dinge im Großen zu sehen und lebendig darzustellen.
Die „Materialien zur Geschichte der neuesten Politik“, die er jetzt erscheinen
ließ, unterwarfen das Treiben der bayrischen Ultramontanen einer un-
barmherzigen, treffenden Kritik und wirkten um so stärker, da ihr Ver-
fasser sich selbst als einen Konservativen bekannte.
Als das Jahr 1846 zu Ende ging, hatte König Ludwig endlich ein-
gesehen, daß auf die anderen Minister wenig ankam und allein Abels
Kirchenpolitik den allgemeinen Unfrieden verschuldete. Im Dezember wurde
die Verwaltung der Kirchenangelegenheiten dem Minister des Innern abge-
nommen und dem gemäßigt konservativen neuen Justizminister, dem Sohne
und Nachfolger des alten Frhrn. v. Schrenck, übertragen. Es war der
Anfang des Endes. Wenn der König auf diesem Wege fortschritt und aus
freiem politischem Entschlusse das völlig verbrauchte, grenzenlos verhaßte
Ministerium ganz beseitigte, dann konnte die selbstverschuldete Niederlage
der ultramontanen Parteiherrschaft dem ganzen Deutschland zum Heile
gereichen. Da griffen unsaubere Hände ein, und dieser schuldbelasteten
Regierung wurde noch das unverdiente Glück, daß sie umstrahlt von dem
Heiligenscheine erhabener sittlicher Entrüstung, würdevoll von der Bühne
abtreten konnte. —
Derweil die Klerikalen in Bayern herrschten, begann in Baden ein
weltlich reaktionäres Regiment, das ihnen mindestens befreundet war
und unmittelbar ihre Zwecke förderte. Eine geschlossene ultramontane
Partei hatte sich hierzulande noch nicht bilden können, obwohl die Klerisei
des gesamten Südwestens im Stifte Neuburg bei Heidelberg, unter dem
gastlichen Dache der Frau Rat Schlosser ihre geheimen Zusammen-