326 V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
künfte zu halten pflegte, und auch im Landtage, zumal in der ersten Kammer
immer einzelne Männer von streng römischer Gesinnung saßen. Die
Mehrzahl der Beamten und der gebildeten Laien war noch ganz erfüllt
von den Grundsätzen der josephinischen Kirchenpolitik; unter den älteren
Geistlichen fanden nicht nur Wessenbergs Ideen, sondern auch kühnere kirch—
liche Reformgedanken starken Anhang. Nicht weniger als 160 geistliche
Herren hatten i. J. 1831 die Petition um Abschaffung des Zölibats unter-
zeichnet; noch neuerdings war im Oberlande der von dem liberalen Dekan
Kuenzer geleitete Schaffhauser Verein entstanden, der alle kirchlichen Fragen
mit ungebundenem Freimut besprach und, nach dem Vorbilde der Prote-
stanten gemischte Synoden von Geistlichen und Laien auch für die katholische
Kirche verlangte. Doch mittlerweile begann ein neuer, gut römisch gesinnter
Klerus aufzuwachsen. Die Regierungen Badens und Württembergs unter-
lagen beide dem tragischen Schicksal, daß sie sich durch ihre treue Fürsorge
für die katholischen Fakultäten der Landesuniversitäten selbst ihre Feinde
heranzogen. Die jungen, in Freiburg unter Hirscher und anderen keines-
wegs ultramontanen Gelehrten gebildeten Kleriker besaßen mehr theologisches
Wissen, mehr kirchlichen Sinn als das ältere Geschlecht, darum auch mehr
priesterliches Selbstgefühl; die bureaukratische Kirchenhoheit der guten alten
Zeit erschien ihnen unerträglich, und hier wie überall in Deutschland
wurde der Klerus durch die Kölner Wirren zu neuen Ansprüchen ermutigt.
Im Landtage brachte Frhr. v. Andlaw den Notstand der römischen
Kirche schon mehrmals zur Sprache, und 1841 erschien als erstes kräftiges
Lebenszeichen der werdenden ultramontanen Partei die anonyme Flug-
schrift „die katholischen Zustände in Baden“. Ihr Verfasser war, wie sich
erst nach seinem Tode herausstellte, der Archivdirektor Mone, ein den Histo-
rikern durch seine voreiligen Hypothesen wohlbekannter gelehrter Viel-
schreiber. Er redete, als ob die katholische Mehrheit des badischen Volkes durch
die protestantischen Beamten der protestantischen Dynastie bedrückt würde.
Allerdings waren die Durlacher — wie man die Beamtenfamilien der
alten protestantischen Markgrafschaft Baden-Durlach noch zu nennen pflegte
— in den höhern Staatsämtern stark vertreten, weil der katholische Adel
des Oberlandes seine Söhne häufig in österreichischen Dienst schickte. An
eine Bevorzugung der Protestanten aber dachte der gutmütige Großherzog
nicht von fern; und wenn seine Behörden die Katechismen, die Gesang-
bücher, die Fastengebote der katholischen Kirche argwöhnisch überwachten, so
mußten doch die Evangelischen die gleiche Aufsicht ertragen. Der allwissende
Bevormundungseifer lag im Wesen des Polizeistaats; die alte Doktrin,
die in den Geistlichen nur Staatsdiener sah, wirkte noch überall nach. Im
Einverständnis mit dem greisen Minister Reizenstein widerlegte Nebenius
die Anklagen Mones durch eine würdige Gegenschrift; aber die Saat des
Unfriedens war ausgestreut, die Kirche begann sich in die ihr allezeit vor-
teilhafte Rolle der klagenden Dulderin einzuleben.