334 V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
kirchliche Leben griff der Kirchenrat handfest ein; er ordnete Gottesdienst
und Gebete an, er bestimmte die Länge der Predigten und der Homilien,
er erteilte den geistlichen Weihen seine Zustimmung. Der Landesbischof,
der in Rottenburg, absichtlich in der Nähe der strengprotestantischen alt—
württembergischen Gebiete und der paritätischen Landesuniversität, seine
sehr bescheidene Residenz angewiesen erhielt, besaß gar keine selbständige
Disziplinargewalt über seinen Klerus und durfte keine einzige Pfründe im
Lande vergeben, da die Krone kraft zweifelhafter Rechtstitel ein landes-
herrliches Patronat beanspruchte; alle Erlasse seines Ordinariats bedurf-
ten der Genehmigung des königlichen Kommissars. Der König zeigte sich in
diesen Jahren höchst mißtrauisch gegen die römische Kirche. Evangelische
Gesinnung lag dem sarkastischen Weltmanne fern, doch eine starke Staats-
gewalt erschien ihm als der einzige Halt und Hort in der gärenden Zeit;
darum sah er in den Klerikalen jeder Farbe nur geistliche Demagogen. Offen
sprach er aus, daß er die Tübinger katholische Fakultät von den Schülern
Möhlers reinigen wolle, und in der Tat ward ein ultramontaner Eiferer,
Professor Mackauf eine stille Landpfarre versetzt.') Die nachgiebige Kirchen-
politik Preußens erfüllte den König mit schwerer Besorgnis, dagegen begrüßte
er freudig den Gustav-Adolf-Verein, dem er sogleich durch ein veröffent-
lichtes Handschreiben seine Unterstützung zusagte. Wegen der kirchenpoliti-
schen Streitfragen verlangte er mehrmals den Rat Wessenbergs. Dieser
ehrwürdige alte Herr lebte freilich in Zeiten, die gewesen; er träumte noch
immer den unmöglichen Traum einer deutschen Nationalkirche, deren Primat
zwischen den Erzbischöfen von Köln, Freiburg, München wechseln sollte, und
mahnte vornehmlich, das Plazet festzuhalten, auch in Sachen der gemischten
Ehen nichts zu ändern — zwei Forderungen, die doch jetzt, nachdem
die Krone Preußen nachgegeben, schon allen Boden verloren hatten.)
Lange Jahre hindurch hatte der schlaffe greise Bischof Keller von Rotten-
burg die gestrenge, aber fürsorglich wohlmeinende Vormundschaft des Staats
geduldig ertragen; er gehörte noch zu der leidsamen alten Schule und war
vor Jahren selbst Mitglied des Kirchenrats gewesen. Nach und nach begann
die neue klerikale Partei ihm doch über den Kopf zu wachsen. Die dem
Könige besonders verhaßten Repetenten des Tübinger Wilhelmsstifts)
die katholischen Edelleute Oberschwabens und die jungen Kleriker, die sich
hier wie zu Freiburg in die bischöfliche Kurie eindrängten, bestürmten ihn
mit Forderungen. Er wurde in Rom angeschwärzt, erhielt drohende Mah-
nungen aus dem Vatikan, und um dem Schicksal Sedlnitzkys zu ent-
gehen, entschloß er sich endlich, dem Landtage von 1841/42 eine lange
*) Rochows Berichte, 8. Jan., 9. 14. Febr. 1840.
*“) Wessenberg, gutächtliche Ansichten über die katholischen Kirchenzustände in Deutsch-
land, 21. Mai 1840; neuer Versuch zur Ausgleichung des Streites über die Einsegnung
gemischter Ehen, Jan. 1841.
*##) Rochows Bericht, 11. Jan. 1842.