338 V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
oder auch ihre Gotteshäuser einzuräumen. Im März 1845 trat zu Leipzig
ein Konzil zusammen, um Bekenntnis und Verfassung der neuen Sekte
festzustellen, und hier zeigte sich alsbald die religiöse Schwäche der Be—
wegung. Der Deutschkatholizismus krankte nicht nur an einem logischen
Widerspruche, da er zugleich allgemeines und nationales Christentum sein
wollte, sondern auch an einer schweren sittlichen Unwahrheit, denn er gab
vor, zwischen den Katholiken und Protestanten mitteninne zu stehen, wäh—
rend er in Wirklichkeit weit über den evangelischen Glauben hinausging
und nur den extremen Sekten der Protestanten verwandt war. Erschienen
doch in Königsberg zur Eröffnung des deutschkatholischen Gottesdienstes,
freundlich eingeladen, sogar die Führer der liberalen Judenschaft, Jacoby,
Falkson, Korsch. Auf dem Leipziger Konzile errang Ronge mit seinem
radikalen Anhange den Sieg. Das Dogma wurde im Geiste des platten
Rationalismus dermaßen vereinfacht, daß von christlichem Inhalt wenig
übrig blieb; die Gemeinden erhielten eine fast unbeschränkte Selbständigkeit,
ihrer viele gewährten, allem kirchlichen Brauche zuwider, sogar den Frauen
das Stimmrecht. So weit wollte der immerhin etwas ernster gestimmte
Czerski doch nicht gehen, den Glauben an die Göttlichkeit Christi gab er
nicht auf; auch der wackere Pater Theiner zog sich bald zurück, entsetzt
über Ronges windige Phrasen; und es ließ sich jetzt schon vorhersehen,
daß diese gedankenlose Sektiererei an der gewaltigen Konsequenz der katho—
lischen Kirche notwendig zerschellen mußte.
Aber die fieberische politische Freiheitssehnsucht des Zeitalters klam—
merte sich an jeden Strohhalm; alles hieß sie willkommen, was den alten
Gewalten in Staat und Kirche irgend widerstrebte. Ulrich von Hutten war
den Liberalen dieser Tage die Lieblingsgestalt der deutschen Geschichte;
in seinem kühnen Freimut, seinem rhetorischen Pathos, seiner ungebundenen
Lebensweise, seinen gestaltlosen vaterländischen Träumen meinten sie sich
selber wiederzuerkennen. Und wie er einst von der Reformation die Auf—
erstehung deutscher Macht und Herrlichkeit erhofft hatte, so wähnten jetzt
Unzählige, dieser schlesische Kaplan würde der nahenden politischen Revo—
lution eine Gasse brechen. Der philosophische Radikalismus trat für einige
Zeit ganz in den Hintergrund, da sich mit einem Male die Aussicht auf
große praktische Erfolge der geistigen Freiheit zu eröffnen schien. Viele
liberale Zeitungen verherrlichten den Führer der Deutschkatholiken mit
einer Inbrunst, die sich neben der Nichtigkeit des Mannes und der Dürf-
tigleit seiner Erfolge hochkomisch ausnahm. Ein Rebus, der an allen
Schaufenstern hing, sagte:
Ronge, zweiter Luther du,
Streite, streite wacker zul
Nicht durch Rock und Narrenglocken
Sollen uns die Pfaffen locken.
Aberglaube, fliehe fort!
Gleich dem Blitz trifft Ronges Wort.