Das apostolische Glaubensbekenntnis. 367
Hierarchie. Es war doch wirklich das von den Pietisten so oft bekämpfte
„Papsttum der Wissenden“, das sich jetzt, in bester Absicht freilich, heraus-
nahm, seinen kritisch geläuterten Glauben den protestantischen Gemeinden
aufzuerlegen; wie die Bourgeoisie im französischen Staate, so suchte in
der deutschen evangelischen Kirche die Intelligenz alle Herrschaft an sich
zu reißen und verwechselte unbefangen sich selber mit dem gesamten
Volke. Auch Stahl, der damals noch die Union als eine vollendete Tat-
sache anerkannte, mahnte ernst: in Zeiten der Not dürfe die Kirche wohl
schweigen, doch nicht zweideutig reden; ja selbst der mit Nitzsch persönlich
und wissenschaftlich befreundete Twesten warnte, man solle das christliche
Volk nicht durch die theologische Wissenschaft vergewaltigen. Für die An-
träge sprachen beredt und geistvoll der Hallenser Julius Müller und der
Königsberger Dorner. Die Anhänger der Schleiermacherschen Linken,
Graf Schwerin und der Berliner Prediger Sydow erklärten sich anfangs
im Namen der evangelischen Freiheit gegen jede bindende Lehrverpflich-
tung; im Verlaufe der langen, höchst lebendigen und gedankenreichen Ver-
handlungen traten sie jedoch den Ansichten Nitzschs näher. Schließlich
wurde mit starker Mehrheit eine vereinfachte Ordinationsformel ange-
nommen, die mit dem Geiste der Union doch nicht im Einklange stand,
wie weitherzig man sie auch auslegen mochte. Mehrheitsbeschlüsse haben
aber nur da Sinn und Wert, wo ein Entschluß für das handelnde Leben
gefaßt werden muß und die Abstimmung erweisen soll, auf welcher Seite
die stärkere Macht steht. In Glaubenssachen bedeutet die Mehrzahl so
wenig wie in der Wissenschaft. Die konfessionelle Minderheit fühlte sich
mit nichten überwunden, denn mit geistigen Waffen war sie nicht ge-
schlagen; und wie konnte man gar hoffen, daß der König einer Ab-
schwächung der alten Symbole jemals zustimmen würde? Hofprediger
Strauß, ein gefühlvoller, allezeit begeisterter Pietist, der den Monarchen
genau kannte, gab schon während der Beratungen deutlich zu verstehen,
das alles sei verlorene Arbeit.
Der unselige Streit um die Lehrverpflichtung wurde leider auch dem
Hauptwerke der Generalsynode, dem Kirchenverfassungs-Entwurfe verderb-
lich. Wie planlos und hilflos stand die Krone doch dieser großen Auf-
gabe gegenüber. Von den kleinen bischöflichen „Kirchen“, die der König
wünschte, war kaum die Rede. Eichhorn überließ vielmehr der Versammlung,
ihre eigenen Vorschläge auszusprechen, und ganz von selbst vereinigte sich
die große Mehrheit in dem Gedanken, die bestehende Ordnung weiter auszu-
bauen: das Konsistorialsystem des Ostens wollte man nicht aufheben, sondern
durch die presbyterialen und synodalen Institutionen des Westens ergänzen
und beleben. Hier zeigte Nitzsch seine große organisatorische Begabung;
Bethmann-Hollweg, der jetzt auch dem Rheinland angehörte, ging ihm
zur Hand mit seiner gründlichen Rechtskenntnis, Landfermann mit
seiner reichen, im Westen angesammelten Erfahrung. So entstand ein