Neue Wendung in der Literatur. 371
Die kräftigeren Geister des Jungen Deutschlands selbst hatten sich
längst aus dem verzettelnden Eintagsschaffen hinausgesehnt, sie wendeten
jetzt ihre gereifte und gesammelte Kraft der Bühne zu und mit ihnen
viele von dem jüngeren Nachwuchs. Bühnengerechte, künstlerisch durch—
dachte Dramen, manche wohl angekränkelt von der nervösen Unruhe der
Zeit, aber manche auch lebendig, aus dem Herzen der Gegenwart heraus
empfunden, brachten dem verfallenen Theater ein frischeres Leben, das
leider durch die Stürme der Revolution nur zu bald zerstört werden
sollte. Auch auf die Dichtung hatte die nationale Begeisterung des Jahres
1840 erstaunlich tief eingewirkt. Ganz so gekräftigt war der deutsche
Nationalstolz freilich noch nicht, wie König Ludwig meinte, als er in einem
wunderlichen Gedichte den „Teutschen seit dem Jahre 40“ nachrühmte:
„daß vorüber nun ist die Verblendung“. In einem Volke, das noch kaum
die Anfänge einer ernsthaften Parteibildung besaß, konnte der wüste, ziel—
lose Radikalismus nicht völlig aussterben. So schamlos aber wie vor
zehn Jahren wagten sich das vaterlandlose Weltbürgertum und die
knechtische Vergötterung Frankreichs nur noch selten heraus; die meisten
der jungen Zeitpoeten schwärmten für ein mächtiges Vaterland, sie ahnten
seine große Zukunft, und auch darum erschienen sie achtungswerter als
die Schildknappen Börnes.
An Geist und Empfindung war die Zeit nicht arm; eine heitere
Sinnlichkeit belebte und erwärmte den geselligen Verkehr. Lieblichere
Trachten als damals haben die Frauen in diesem geschmacklosen Jahr—
hundert nie getragen: die Taille saß endlich einmal an der rechten Stelle;
aus dem faltigen, nicht allzu stark aufgebauschten Rock hob sich die Ge—
stalt schlank und leicht empor; das schlicht gescheitelte Haar, die nackten
Arme, der frei, nicht frech entblößte Busen ließen die natürliche Schön-
heit auch schön erscheinen. Von dem berückenden Liebreiz der genialen
Sängerin Wilhelmine Schröder-Devrient und der Herzogin von Sagan,
von den galanten Abenteuern des Fürsten Lichnowsky und des „Lands-
knechts“ Schwarzenberg erzählte jedermann. Wenn die Münchener und
die Düsseldorfer ihre farbenreichen Künstlerfeste hielten, wenn die jungen
lyrischen Dichter in Unkel oder St. Goar oder im Bonner Maikäferbunde
zusammentrafen, um das niemals ausgesungene Lob des Rheines zu singen,
dann wallte die herzhafte Lebenslust fröhlich auf; selbst auf den ungezähl-
ten Zweckessen und politischen Festbanketten erklangen mitten im Phrasen-
schwall zeitgemäßer Stichwörter oftmals die herzbewegenden Reden einer
tiefen, ursprünglichen Begeisterung. Die deutsche Welt glaubte noch an
Ideale. Aber auch die dämonischen Mächte der frechen Unzucht und die
Krankheit des Jahrhunderts, der Größenwahnsinn der halben Talente
fanden freies Spiel in der allgemeinen Anarchie der Geister. Keine Partei
blieb von ihnen verschont. In der Vermessenheit geistigen Hochmuts
standen die liederlichen Schlemmgesellen des konservativ-liberalen kleinen
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