Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

30 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung. 
recht zu behalten und richtig zu steuern. Ich fühle nur zu deutlich, daß 
dieser Verein mir abgeht, denn ich vermag mich nicht von dem Schlage 
zu erholen, der uns niedergeschmettert hat, und meine Lage erscheint mir 
wie ein Traum, aus welchem ich sehnlich das Erwachen wünsche.“ Das 
ganze Land teilte die Trauer des Königs. In feierlichem Schweigen 
standen die Massen, als in der Nacht des 11. Juni die Leiche den breiten 
Mittelweg der Linden entlang hinausgeführt wurde nach dem Charlotten- 
burger Mausoleum, wo der Verblichene neben seiner Luise ruhen wollte; 
die Laternen waren ausgelöscht, nur der Mond warf zuweilen aus den 
Wolken vortretend sein fahles Licht auf die schwarzen Wagen, die lautlos 
über den weichen Sandbogen dahinzogen. Auf allen Kanzeln von der Memel 
bis zur Aar wurde gepredigt über den Text „der Herr hat Dich gesegnet 
in allen Werken Deiner Hände“; die Stadt Berlin beschloß, dem Entschla- 
fenen, dem sie so viel verdankte, draußen auf einem waldigen Hügel ein 
Denkmal zu errichten, und nannte die Stelle ihm zu Ehren den Friedrichshain. 
Noch einmal wurde dann allen Preußen die Erinnerung an den Ver- 
storbenen lebendig, als der neue Monarch die beiden einzigen letztwilligen 
Verfügungen veröffentlichen ließ, welche der alte Herr, außer einer Vor- 
schrift über seine Bestattung, hinterlassen hatte. Er fügte den Außerungen 
des Vaters einige tief empfundene Worte hinzu; offenbar im Hinblick 
auf die Kriegsrüstungen der Franzosen, sagte er zuversichtlich: sollte 
je das Kleinod des teuer errungenen Friedens gefährdet werden, „so 
erhebt sich mein Volk auf meinen Ruf wie ein Mann, wie sein Volk sich 
auf seinen Ruf erhoben hat“. Die beiden Testamente waren schon vor 
dreizehn Jahren niedergeschrieben, lange bevor die Juli-Revolution das 
deutsche Leben erschütterte, und ganz in dem patriarchalischen Stile jener 
stillen Tage gehalten. Das eine, „mein letzter Wille“ überschrieben, er- 
ging sich in frommen Betrachtungen; das andere mit den Eingangsworten 
„auf Dich, meinen lieben Fritz“, warnte den Thronfolger vor Neuerungs- 
sucht und unpraktischen Theorien, aber auch von der zu weit getriebenen 
Vorliebe für das Alte, und mahnte ihn, den Bund mit Osterreich und 
Rußland „als den Schlußstein der großen europäischen Allianz zu be- 
trachten". Der Berliner Magistrat ließ diese Vermächtnisse des alten 
Königs für seine Bürgerschaft abdrucken, und noch viele Jahre hindurch 
hingen sie unter Glas und Rahmen in unzähligen preußischen Häusern. 
Aber die Zeit, der sie angehörten, war vorüber; mit diesem letzten Zolle 
der Dankbarkeit schien die Vergangenheit abgeschlossen; erwartungsvoll 
wendeten sich die Blicke dem neuen Herrscher zu. 
Das erste, was er von sich hören ließ, waren Kundgebungen des 
Herzens; die Härten früherer Tage auszugleichen, erschien ihm als heilige 
Pflicht. Allen den Abgesandten, die sich ihm nahten, sagte er freundliche, 
ermutigende Worte; sogar die Juden Berlins, die er sehr wenig liebte, 
empfingen oie Versicherung, daß er kein Anhänger der blinden Vorurteile
	        
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