Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

386 V. 5. Realismus in Kunst und Wissenschaft. 
Fleiße sauber ausgemalt, gewissenhaft der Natur nachgebildet, frisch und 
kräftig, frei von gefühlsseliger Schönfärberei, so realistisch gehalten, daß 
selbst die Sprache beständig wechselte: der schwäbische Dialekt der Bauern- 
gespräche und sogar der Bauernbriefe hob sich grell, oft häßlich ab von 
dem Hochdeutsch der Erzählung und der allzu reichlich eingestreuten Re- 
flexionen. Auerbach hatte sein Manuskript der liberalen Bassermannschen 
Buchhandlung in Mannheim, der jetzt auch Karl Mathy angehörte, zuge- 
sendet, und Mathys treffliche Hausfrau fühlte sich glückselig, da sie die 
Blätter zuerst durchmusterte und dies neue Kleinod deutscher Dichtung 
gleichsam entdeckte. Auch Freiligrath, der allezeit neidlos empfängliche, 
rief begeistert: „das ist ein Buchl ich kann es dir nicht sagen, wie mich's 
gepackt hat recht in tiefster Seele“; und den Brüdern Grimm diente diese 
Fülle oberländischer, dem Volksmunde sorgsam abgelauschter Wörter und 
Redewendungen als eine willkommene Fundgrube sprachlicher Forschung. 
Der erste Erfolg der Dorfgeschichten war groß und wohlverdient. 
Übersättigt von den süßen Salonnovellen der Taschenbücher stürzten sich 
die Leser mit Behagen auf diese derbe Hausmannskost, und selbst die blasierte 
vornehme Welt fand eine Zeitlang den Tolpatsch originell, den Ivo pikant, 
das Vefele allerliebst. In der Gesellschaft wurde der junge Dichter wie 
ein fröhlicher Salon-Tiroler betrachtet; er erzählte auch im Gespräche 
meisterhaft, redete mit erstaunlicher Offenherzigkeit über seine Entwürfe 
und nahm jeden Beifall begierig auf; ein guter treuer Kamerad, ein warm- 
herziger liberaler Patriot, erwarb er sich viele Freunde und selbst sein 
stark jüdisch gefärbter Spinozismus schien, nach der Meinung jener Tage, 
von der vorherrschenden christlichen Aufklärung nicht sehr weit abzu- 
weichen. Zahlreiche Nachahmer, die sehr bald in Manier verfielen, bemäch- 
tigten sich sogleich der neu entdeckten Dorfwelt; aus allen dunklen Winkeln 
deutscher Erde, aus Oberschlesien und aus dem Ries, stieg in den näch- 
sten zehn Jahren ein Geschlecht von Tölpeln und Rüpeln empor, und je 
roher, je plumper die Bauern es trieben, desto lauter wurden sie be- 
wundert als aus dem Leben gegriffene Gestalten, desto lebhafter reizten 
sie das stoffliche, ethnographische Interesse der Leserwelt. Unleugbar lag 
eine erziehende Kraft in solchen einfachen Stoffen, die jeder Leser bis ins 
einzelne nachprüfen konnte; wer sich daran wagte, mußte der Natur treu 
bleiben. Seit die Dorfgeschichten aufkamen, wurden auch die nach schöneren 
Kränzen strebenden Dichter gezwungen zu einer genauen, andächtigen Beob- 
achtung des wirklichen Lebens, welche der deutschen Poesie nur zu oft fehlte. 
Als der Reiz der Neuheit verflog, da bemerkte man freilich, daß 
Auerbach selbst nicht gänzlich in und mit seinen Menschen lebte; eine so 
mächtige, so unvergeßliche Gestalt wie der Hofschulze im Münchhausen ge- 
lang ihm nie, obgleich er viel mehr berechnete Kunstmittel aufwendete 
als Immermann. Er spottete gern über die theoretisierenden Künstler, die 
das Ei hart sieden und hernach noch ausbrüten wollten. Im Grunde be-
	        
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