Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

436 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft. 
deutschen Meere dem vaterländischen Handelsbunde bei, dann gebot das 
geeinte Deutschland, ohne Osterreich, über die zweite Handelsmarine der 
Welt; Bremen allein besaß zur Zeit mehr große Schiffe von 500 Last 
und darüber, als das gesamte Frankreich, und eine Nation von solcher 
Stärke galt jenseits des Ozeans gar nichts. Die stärkste Handelsader 
des Zollvereins, der Rhein, war ihm ja längst unterbunden, da Holland, 
auf unabsehbare Zeit hinaus, sich von dem alten Vaterlande getrennt 
hatte. Um so heftiger ward also verlangt, daß mindestens die Nordsee— 
küsten von der Ems bis zur Elbe, Hannover und die Hansestädte sich 
endlich dem nationalen Handelsbunde einfügen müßten. Am lautesten 
erklang diese wohlbegründete Forderung in Süddeutschland, das soeben 
erst den Segen großer Verhältnisse kennen gelernt hatte und sich nun 
doch vom Weltmeer gänzlich abgetrennt sah. Jetzt zeigte sich aber, wie 
schon so oft in der Geschichte des Zollvereins, daß der norddeutsche Parti- 
kularismus noch weit schwerer zu überwinden ist als der süddeutsche. Die 
Finanznot allein hatte einst den Trotz der süddeutschen Höfe besiegt; diese 
Küstenlande der Nordsee hingegen wähnten sich in ihrem Sonderleben sehr 
glücklich zu befinden. Mit begreiflichem Stolze rechneten die Hanseaten 
den Binnenländern vor, wie mächtig ihre Städte ohne Deutschlands Hilfe 
aufgestiegen waren. Ohne den heilsamen Zwang einer gebietenden Reichs- 
gewalt ließ sich diesem selbstgefälligen Hansetrotze schwerlich die einfache 
Wahrheit beibringen, daß die deutschen Häsen im Bunde mit dem großen 
Vaterlande unzweifelhaft noch viel rascher aufblühen mußten. 
Die nächste Aufgabe des Zollvereins, die Abrundung seiner Grenzen bis 
zur See, schien zur Zeit fast unmöglich, und fast ebenso hoffnungslos war auch 
für jetzt das Verlangen nach einer Verfassungsänderung des Handelsbundes. 
Es ist die Größe der absoluten Monarchie, daß sie zuweilen eine Politik der 
Ideen durchzuführen vermag, während der Parlamentarismus immer und 
überall durch die Klasseninteressen der Gesellschaft beherrscht wird. Nur die 
absolute preußische Krone hatte die Idee der deutschen Handelseinheit ver- 
wirklichen, alle die weitverzweigten geheimen Verhandlungen, welche den 
Zollverein begründeten, zum glücklichen Ende führen können. Doch kaum 
bestand diese neue Einheit, so regten sich sofort die sozialen Interessen und 
wirtschaftlichen Gegensätze. Man verlangte stürmisch Offentlichkeit der 
Zollkonferenzen oder auch ein Zollparlament oder Notabelnversammlungen, 
damit jeder Gewerbszweig seine Anliegen vor der Nation vertreten könne. 
Aber wie sollten diese durchaus berechtigten und erklärlichen parlamenta- 
rischen Wünsche befriedigt werden, da der Zollverein doch kein Staat war? 
Also sah die führende Macht des Zollvereins eine Menge neuer, 
überaus schwieriger Pflichten vor sich. Zunächst gelang ihr eine kleine Er- 
weiterung des Zollgebiets. Nach neunjähriger Anarchie wurde das Groß- 
herzogtum Luxemburg jetzt endlich als ein souveräner deutscher Bundes- 
staat eingerichtet; es erhielt eine selbständige Regierung, am 12. Okt. 1841
	        
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