Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Stände, nicht Volksvertreter. 37 
vorzubereiten. Denn ganz etwas anderes als die süddeutschen Kammern 
sollte Preußens künftiger Reichstag werden, nicht eine Volksrepräsentation, 
sondern eine Versammlung von Ständen, welche ihre eigenen Rechte zu 
wahren hätten, eine im historischen Rechtsboden festgewurzelte Körperschaft, 
die eben deshalb weder den befreundeten Ostmächten Anstoß geben noch 
die preußische Monarchie dem Staate der Juli-Revolution in die Arme 
treiben könnte. Ganz und gar war der König erfüllt von jener alten Gentzi— 
schen Ständelehre, welche der Fürst von Solms-Lich den Höfen neuerdings 
wieder mundgerecht vorgesetzt hatte. Er übersah, daß der konstitutionelle 
bayrische Landtag doch auch nach dem Grundsatze der ständischen Gliederung 
gebildet war, und ahnte nicht, daß jeder preußische Reichstag, wenn er nur 
mehr war als ein kleiner Ausschuß, sich selbst für eine Volksvertretung 
ansehen, die öffentliche Meinung an den Tag bringen mußte. Weltkundiger 
als der König hatte Dahlmann schon vor Jahren diese notwendige Entwick— 
lung vorausgesagt, als er in einem der schönsten Kapitel seiner „Politik“ 
ausführte: dieselbe Macht der Geschichte, welche überall an die Stelle 
der Dienste das Geld, an die Stelle der Sitte die Einsicht, an die Stelle 
der Standesmeinung eine öffentliche Meinung gesetzt habe, sie nötige, 
auch die alten Landstände zusammenzurücken zu einer Volksvertretung. 
Solche Worte konnte der König nur für revolutionär ansehen, denn der 
Führer der Göttinger Sieben warnte zugleich vor einer Doktrin, welche 
„den Staat halb als Vaterhaus, halb als Kirche übertünchen“ wolle. 
Eben diese Idee des christlich-germanischen Patrimonialstaates war 
dem Monarchen heilig; sie wollte er verwirklichen — „auf Jahrhunderte 
hinaus“, wie Fürst Solms zuversichtlich meinte — im bewußten Gegen— 
satze zu den Staaten der Volkssouveränität und der papiernen Charten. 
Darum durfte ihm auch kein Untertan einreden in seine verborgenen 
Pläne. Im buchstäblichen Sinne verstand er die Mahnung, die ihm 
Leopold Gerlach in diesen Tagen zurief: jeder König wird unfähig zu 
regieren, wenn ihn das Volk nicht mehr für einen König von Gottes Gnaden 
hält. Wie zornig hatte er vor neun Jahren auf „diesen Pumpernickel- 
Lafayette“ gescholten, als die westfälischen Stände an das Verfassungs- 
versprechen zu erinnern wagten und der junge Fritz Harkort sich durch 
seine kühne Sprache hervortat. Das Volk sollte gehorsam abwarten, 
was des Königs Weisheit ihm schenken würde; nimmermehr wollte er sich 
drängen lassen. 
Leider bekundeten jetzt schon mannigfache Anzeichen, wie wenig diese 
Regierung einem anhaltenden Drängen zu widerstehen vermochte. Zu- 
gleich mit der Verfassungssache hatte Friedrich Wilhelm auch die zweite 
der beiden großen Fragen, welche ihm sein Vater ungelöst hinterlassen 
hatte, den Bischofsstreit, ernstlich ins Auge gefaßt. Er beschloß, durch 
eine Sendung nach Rom, durch unmittelbare Verhandlungen mit dem 
Papste den Zwist beizulegen, und gestattete schon am 13. Juli dem Erz-
	        
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