444 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft.
beständig — das erfuhr der preußische Gesandte von Lord Aberdeen
selbst —: keine Macht der Welt soll mich je zum Eintritt in den preu—
ßischen Verein bewegen! Nun gar jetzt sich durch das verhaßte Braun—
schweig gleichsam zwingen zu lassen — das ging ihm wider die Ehre. Die
Briten bestärkten ihn, wie sich von selbst verstand, in solchen Vorsätzen,
obgleich Aberdeen dem leichtgläubigen Bunsen treuherzig beteuerte: der
Beitritt Hannovers würde die Partei des Freihandels im Zollvereine kräf—
tigen und uns darum willkommen sein.*) Auf seine Hannoveraner konnte
der Welfe sich verlassen. In der Presse des Landes polterte widerwärtig der
breite niedersächsische Bauernhochmut, der ohne nach dem großen Vater-
lande auch nur zu fragen, sich wohlgefällig seines gefüllten Magens
rühmte, und die Hansen suchten diesen Trotz nach Kräften zu nähren.
In Bremen, das allezeit mehr vaterländische Gesinnung zeigte als
Hamburg, ward die Verbindung mit dem Zollvereine allerdings schon
zuweilen erwogen; doch allein konnte die Weserstadt nichts wagen, sie
mußte sonst fürchten, ihren gesamten Zwischenhandel an das reichere Ham-
burg zu verlieren. Dort an der Elbe hatte sich in dem langen hansischen
Sonderleben eine Gesinnung herausgebildet, die man ebenso wohl allzu
weitherzig wie allzu engherzig nennen konnte, eine rein kaufmännische
Auffassung des politischen Lebens, die in dem Staate nur den unbequemen
Dränger, den natürlichen Feind des freien Handels sah und überdies
mit republikanischem Dünkel auf die angebliche Unfreiheit der preußischen
Monarchie herabblickte. Der hansische Handel hatte die Stellung einer
Weltmacht behauptet in Zeiten, da das Vaterland tief daniederlag. Kein
Wunder, daß man anfing, das eigene Verdienst zu überschätzen, und die
doch leicht begreifliche Blüte dieser Emporien eines gewerbfleißigen, dicht-
bevölkerten Hinterlandes allein aus der tiefen Weisheit ihrer Handels-
politik herleitete. Man legte sich die Frage kaum noch vor, warum denn
London und Liverpool, Neuyork und Marseille unter dem Schutze ihrer
nationalen Zolllinien gediehen? warum an den Mündungen von Rhein,
Maas und Schelde, ebenfalls hinter nationalen Zollschranken, eine ganze
Reihe blühender Handelsstädte bestand? Die Natur selbst — das galt
in Hamburg als ein Glaubenssatz — hatte Deutschland zu einer ewigen
handelspolitischen Selbstverstümmelung bestimmt, sie hatte die Mündungen
der Elbe, der Weser, der Trave so ganz absonderlich gestaltet, daß sie
immerdar „eine Freiküste“ bleiben mußten. Eine Erklärung dieses Natur-
wunders wußte freilich niemand zu geben.
Der tiefste Grund des hamburgischen Partikularismus lag in der
Schwerfälligkeit der Kaufleute, die sich nicht entschließen konnten, eine alt-
gewohnte und meisterhaft betriebene Geschäftsweise rechtzeitig zu ändern.
Sie betrachteten noch immer, wie in althansischer Zeit, den Zwischen-
*) Bunsens Berichte, 28. Okt., 10. Dez. 1842, 26. März 1844.