Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Norddeutsche Freihändler. Prince Smith. 455 
Nach deutscher Weise wurde die Lehre der freien Konkurrenz bald 
zu einem geschlossenen Systeme ausgestaltet, und es bildete sich eine 
Schule radikaler Freihändler, die mit Richard Cobden und den Manchester- 
männern in Verbindung trat. An ihrer Spitze stand John Prince Smith, 
ein vornehmer Engländer, der von lange her in Preußen eingebürgert, 
zu Elbing mit dem handfesten Liberalen van Riesen Freundschaft ge- 
schlossen hatte und trotzdem alle rein politischen Fragen mit großer Gleich- 
gültigkeit betrachtete. Er wollte nichts sein als Freihändler und hielt sich 
zu den Liberalen nur, weil er durch sie seine wirtschaftlichen Ideale zu er- 
reichen hoffte. Beschränkt und sicher, ein echter Brite, sah er auf der 
weiten Welt nichts andres als Handel und Wandel; technische Entwürfe 
und Verbesserungen beschäftigten ihn unablässig; der Staat war ihm nicht 
mehr als der Produzent der wirtschaftlichen Sicherheit, und als solchen 
hatte er sein Preußen aufrichtig schätzen gelernt. Die allgemeine Handels- 
freiheit mußte — daran blieb ihm kein Zweifel — die Glückseligkeit aller 
Nationen und zuletzt den dauernden Völkerfrieden begründen; denn waren 
nur erst überall die Maschinen im Gange, dann konnte ja, wegen der 
Gefahr einer großen Handelskrisis, kein Staat mehr einen Krieg zu führen 
wagen. Solche Gedanken verbreitete er — in der persönlichen Polemik 
immer maßvoll, in seinen Lehrsätzen ganz unfehlbar — durch zahlreiche 
Flugschriften. Als er sodann nach Berlin übersiedelte, stiftete er einen 
freihändlerischen Verein, dem sich manche begeisterte junge Männer an- 
schlossen. 
In dieser Schwärmerei des trockenen Geschäftsverstandes lag ein 
eigentümlicher Reiz, der gerade deutsche Idealisten leicht bestricken konnte. 
Die Lehre von der ungehemmten Entfaltung aller wirtschaftlichen Kräfte 
berührte sich, freilich nur scheinbar, mit dem ästhetischen Idealismus 
Wilhelm Humboldts, der einst in seiner Jugendschrift das Recht der 
freien Persönlichkeit so warm gegen die zwingende Staatsgewalt verteidigt 
hatte; und wie verführerisch klang doch für edle Naturen der erhabene 
Satz, daß der gerechte Staat sich niemals durch die Klasseninteressen 
selbstsüchtiger Fabrikanten beirren lassen dürfe. Nur zu bald sollte sich 
zeigen, wie stark die Klasseninteressen der Kaufmannschaft und der Börse 
bei den Lehren der Freihändler selbst mitwirkten. Das abstrakte, vater- 
landslose Weltbürgertum ward in dem Vereine immer mächtiger; das 
radikale Gerede der Berliner Nichts-als-Freihändler bestätigte nachträglich 
alles, was List einst stark übertreibend „der Schule“ Adam Smiths 
vorgeworfen hatte. 
Der feste, sichere Wille, der allein so scharfe Parteigegensätze nieder- 
halten konnte, fehlte in Berlin leider gänzlich. Der König empfand dunkel, 
daß die Hilferufe der Schutzzöllner aus dem Süden doch nicht ganz un- 
berechtigt waren. Er hatte von jeher, zum Erstaunen seiner romantischen 
Freunde, viel Verständnis für volkswirtschaftliche Fragen gezeigt und, da
	        
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