Abschluß mit Rußland. 467
Auch bei diesen Schlußverhandlungen ließen es die Moskowiter nicht
an anmutigen Überraschungen fehlen. Der Zar hatte soeben befohlen,
daß alle russischen Juden, wenn sie das Reich ohne Paß verließen, da-
durch von Rechts wegen alsbald ihre Staatsangehörigkeit verlieren sollten,
und verlangte nun unschuldig, Preußen möge im Kartellvertrage diese
Verordnung als rechtsverbindlich anerkennen. So konnte Rußland, nach
seinen bewährten Verwaltungsgrundsätzen, den minder liebenswerten Teil
seiner Judenschaft einfach nach Preußen abschieben. Die Preußen verbaten
sich jedoch diesen neuen Freundschaftsbeweis und setzten durch, daß die
Juden in dem Kartellvertrage gar nicht erwähnt wurden.
Das Gesamt-Ergebnis war für Preußen wenig erfreulich. Die russi-
schen Gewährungen bedeuteten nicht viel, und dafür übernahm man wieder
die lästigen Kartellpflichten zu Gunsten einer halbasiatischen Nachbarmacht.
Der König brachte dies schwere Opfer, das den preußischen Staat allein
traf, lediglich um Deutschlands willen, um seinen Zollverbündeten die
Gleichberechtigung zu sichern; und doch ward ihm dieser schöne Beweis
deutscher Treue von den beharrlich schmähenden schutzzöllnerischen Blättern
des Südens niemals angerechnet. Indessen gestaltete sich der Grenzverkehr
in den nächsten Jahren etwas menschlicher. Noch bessere Aussichten schienen
sich zu erschließen, als Cancrin den Abschied nahm und bald darauf (1845)
starb. Mit seinem gewaltigen Urheber — so hoffte alle Welt — mußte
auch das verhaßte Prohibitivsystem fallen. Der beste Kenner der russi-
schen Volkswirtschaft, Tengoborski, verlangte entschieden die Herabsetzung
der drückenden Zölle und wurde jetzt häufig zu Nesselrode berufen. Niko-
laus selbst äußerte sich zuweilen in ähnlichem Sinne, wenn er mit Gene-
ral Rochow zur Parade ritt, dem neuen Gesandten, der ihm als hoch-
konservativer alter Soldat weit besser gefiel als vordem Liebermann. Aber
alle diese guten Absichten, die immerhin etwas mehr waren als leere Vor-
spiegelungen, trugen keine Frucht. Das alte System blieb aufrecht; denn
der Zar konnte sich nicht entschließen, einen fähigen Finanzmann in Can-
crins Stelle zu berufen, und die mächtigen, bei den neuen Fabriken stark
beteiligten Hoffamilien widerstrebten jeder Reform.“*) Darum kam Geh.
Rat v. Patow, nach langen Beratungen mit Kühne, zu dem Schlusse:
wir können keinen Vertrag mit dem Nachbar schließen, weil Ruß-
land doch nichts gewährt oder nichts hält; „die Zeit der Handelsver-
träge ist überhaupt vorüber, wie Sir Robert Peel sagt und zum Teil,
weil er es sagt.“)
Auch sonst im Auslande war Preußens Handelspolitik nicht glücklich.
Ein mit den Vereinigten Staaten verabredeter Handelsvertrag wurde durch
den amerikanischen Kongreß verworfen. Lange, widerwärtige Verhandlungen
mit Dänemark bewirkten schließlich nur eine geringe Ermäßigung des Sund-
*) Rochows Berichte, 11. Nov. 1845, 24. Sept., 4. Nov. 1846.
**) Patow an Canitz, 21. Jan. 1847.
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