Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Die Manchesterschule. 477 
weil die arbeitenden „Hände“ in den Fabriken, nur wenn die Köpfe leidlich 
erleuchtet waren, die größte Gütermasse erzeugen konnten; Fabrikgesetze 
hingegen verwarf er als einen Eingriff in die persönliche Freiheit. 
Ein solches Evangelium des Mammonzsdienstes drohte die Menschheit 
zu verstümmeln, alles Heldentum, alles Schöne und Erhabene, alle Ideale 
des Gemüts zu vertilgen; dennoch zeigte die Lehre des Voluntarismus, 
des unbeschränkten, jeden Staatszwang ersetzenden sozialen Wettbewerbs 
einen Zug kühner Selbstgewißheit, der kräftige, unternehmende Männer 
bestechen mußte. War doch die ganze Gedankenbewegung des Revolutions- 
zeitalters von dem Kampfe der freien Persönlichkeit wider die Staats- 
gewalt ausgegangen. Auch Cobden empfand eine fast schwärmerische Be- 
geisterung für den nüchternen Gedanken des improvement, des materiellen 
Fortschritts, er hielt sich für den auserwählten Apostel des allgemeinen 
Völkerglücks. Freilich konnten seiner weltbürgerlichen Lehre, da sie von 
diesem selbstgefälligen, alle Ausländer verachtenden Inselvolke herkam, arg- 
listige kaufmännische Hintergedanken unmöglich fehlen. Er selbst zeigte für 
fremde Völker mehr Verständnis als die meisten seiner Landsleute, er be- 
wunderte Preußen, sogar die Einheit Deutschlands und Italiens war ihm 
nicht schreckhaft. Doch schon beim Beginn seiner öffentlichen Wirksam- 
keit sagte er trocken: „unser einziges Ziel sind die gerechten Interessen 
Englands, ohne Rücksicht auf die Zwecke anderer Nationen.“ Seine 
Doktrin vom allgemeinen freien Warenaustausch beruhte auf der still- 
schweigenden Voraussetzung, daß England die Großindustrie der weiten 
Welt beherrschen, anderen Völkern nur die Urproduktion sowie einzelne 
schwer zu verpflanzende Gewerbszweige überlassen müßte. Wie Canning 
und Palmerston einst die konstitutionelle Phrase, so schätzte Cobden die 
freihändlerische Phrase als einen einträglichen Ausfuhrartikel, der die 
Runde um den Erdkreis machen, alle Nationen für die Interessen der 
britischen Handelsherrschaft gewinnen sollte. Da die klugen Fabrikanten 
diesen geheimen Zweck der Freihandelslehren alsbald durchschauten, so 
schwoll die Bewegung unwiderstehlich an, bis der leitende Staatsmann 
Robert Peel sie nicht mehr aufhalten konnte. 
Obschon Peel als Sohn eines reichen, durch Fleiß und Klugheit 
emporgekommenen Baumwollspinners selbst dem Bürgertum angehörte, 
hatte er doch mit Cobdens Weltanschauung nicht das mindeste gemein. 
Gleich seinem Vater, dem die Arbeiter für unzählige Beweise werktätiger 
Menschenliebe immer dankbar blieben, stand er von jeher hoch über der 
Klassenselbstsucht der Fabrikanten. Er wuchs auf in den Gesinnungen der 
Torypartei, der Hochkirche, der altüberlieferten gediegenen klassischen Bil- 
dung, und sah in Pitt das Ideal des Staatsmannes; der ruhige, er- 
wägsame, vorsichtige Mann erschien wie ein geborener Konservativer. 
Und doch beschied ihm das Schicksal die Rolle des Reformers. Die rasch 
schreitende Zeit zwang ihn wieder und wieder die Ansichten seiner Partei
	        
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