Die Manchesterschule. 477
weil die arbeitenden „Hände“ in den Fabriken, nur wenn die Köpfe leidlich
erleuchtet waren, die größte Gütermasse erzeugen konnten; Fabrikgesetze
hingegen verwarf er als einen Eingriff in die persönliche Freiheit.
Ein solches Evangelium des Mammonzsdienstes drohte die Menschheit
zu verstümmeln, alles Heldentum, alles Schöne und Erhabene, alle Ideale
des Gemüts zu vertilgen; dennoch zeigte die Lehre des Voluntarismus,
des unbeschränkten, jeden Staatszwang ersetzenden sozialen Wettbewerbs
einen Zug kühner Selbstgewißheit, der kräftige, unternehmende Männer
bestechen mußte. War doch die ganze Gedankenbewegung des Revolutions-
zeitalters von dem Kampfe der freien Persönlichkeit wider die Staats-
gewalt ausgegangen. Auch Cobden empfand eine fast schwärmerische Be-
geisterung für den nüchternen Gedanken des improvement, des materiellen
Fortschritts, er hielt sich für den auserwählten Apostel des allgemeinen
Völkerglücks. Freilich konnten seiner weltbürgerlichen Lehre, da sie von
diesem selbstgefälligen, alle Ausländer verachtenden Inselvolke herkam, arg-
listige kaufmännische Hintergedanken unmöglich fehlen. Er selbst zeigte für
fremde Völker mehr Verständnis als die meisten seiner Landsleute, er be-
wunderte Preußen, sogar die Einheit Deutschlands und Italiens war ihm
nicht schreckhaft. Doch schon beim Beginn seiner öffentlichen Wirksam-
keit sagte er trocken: „unser einziges Ziel sind die gerechten Interessen
Englands, ohne Rücksicht auf die Zwecke anderer Nationen.“ Seine
Doktrin vom allgemeinen freien Warenaustausch beruhte auf der still-
schweigenden Voraussetzung, daß England die Großindustrie der weiten
Welt beherrschen, anderen Völkern nur die Urproduktion sowie einzelne
schwer zu verpflanzende Gewerbszweige überlassen müßte. Wie Canning
und Palmerston einst die konstitutionelle Phrase, so schätzte Cobden die
freihändlerische Phrase als einen einträglichen Ausfuhrartikel, der die
Runde um den Erdkreis machen, alle Nationen für die Interessen der
britischen Handelsherrschaft gewinnen sollte. Da die klugen Fabrikanten
diesen geheimen Zweck der Freihandelslehren alsbald durchschauten, so
schwoll die Bewegung unwiderstehlich an, bis der leitende Staatsmann
Robert Peel sie nicht mehr aufhalten konnte.
Obschon Peel als Sohn eines reichen, durch Fleiß und Klugheit
emporgekommenen Baumwollspinners selbst dem Bürgertum angehörte,
hatte er doch mit Cobdens Weltanschauung nicht das mindeste gemein.
Gleich seinem Vater, dem die Arbeiter für unzählige Beweise werktätiger
Menschenliebe immer dankbar blieben, stand er von jeher hoch über der
Klassenselbstsucht der Fabrikanten. Er wuchs auf in den Gesinnungen der
Torypartei, der Hochkirche, der altüberlieferten gediegenen klassischen Bil-
dung, und sah in Pitt das Ideal des Staatsmannes; der ruhige, er-
wägsame, vorsichtige Mann erschien wie ein geborener Konservativer.
Und doch beschied ihm das Schicksal die Rolle des Reformers. Die rasch
schreitende Zeit zwang ihn wieder und wieder die Ansichten seiner Partei