506 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft.
da sie ihn vor der kostspieligen unmittelbaren Mitwirkung der großen
Bankhäuser bewahrte. Es war Rothers Verdienst, daß die Gebrüder
Rothschild den preußischen Staat als einen fast unnahbaren Kunden immer
mit scheelen Augen ansahen. Neben den Geschäften eines großen Staats-
bankierhauses betrieb die Seehandlung, gemäß der friderizianischen Über-
lieferung, auch einen ausgebreiteten Seehandel, und Rother freute sich
seiner schönen fünf Schiffe, die in allen Häfen der Welt bewundert wurden;
außerdem besaß sie noch mehrere Landgüter und Fabriken. Die also fest-
gelegten Kapitalien brachten aber wenig ein und beeinträchtigten das
Bankgeschäft, das jederzeit über leicht kündbares Kapital verfügen wollte.
Sollte die Seehandlung ihren neuen Aufgaben als Staatsbankhaus ganz
genügen, so mußte sie unbekümmert um ihren alten Namen, die Seehan-
dels= und Fabrikgeschäfte aufgeben, und zu dieser radikalen Reform konnte
sich Rother nicht entschließen. Der letzte Vertreter der alten Hardenbergi-
schen Beamtenschule, stand er dicht vor der Schwelle einer neuen Zeit, die
er nicht zu betreten wagte. Ihr Tor jedoch hatte er selbst aufgeschlossen
durch seine Bankordnung. Die Preußische Bank brauchte noch zehn Jahre,
bis sie, nach abermaliger Verstärkung ihres Betriebskapitals, in die Reihe
der großen Banken Europas eintrat; die Grundlagen ihrer neuen Verfas-
sung hingegen veränderten sich nicht. Auf dem Zusammenwirken der
Staatsgewalt und des Privatkapitals beruht noch heute die deutsche
Reichsbank. Und so bleibt dem wackeren Alten, der kein schöpferischer
Geist wie Motz, aber ein großer Geschäftsmann war, eine ehrenvolle
Stelle in der Geschichte des deutschen Beamtentums gesichert. —
Die Wunden der Kriegsjahre waren endlich ausgeheilt, überall schritt
die Industrie jetzt rascher vorwärts als in den letzten zwei Jahrzehnten.
Seit dem Erscheinen des neuen Zollgesetzes bis zum Tode des alten Königs
hatte sich in Preußen die Zahl der Grob-, Nagel= und Messerschmiede
von 59 000 auf 79000, die der Webstühle für Baumwoll= und Halb-
baumwollwaren von 14 000 auf 49 000 gehoben. Unter der neuen Re-
gierung vermehrten sich binnen neun Jahren die Dampfmaschinen der
Berliner Fabriken von 29 mit 392 Pferdekräften auf 193 mit 1265
Pferdekräften, und die Kopfzahl der Berliner Metallarbeiter hob sich in
13 Jahren von 3000 auf 4500. Schritt für Schritt suchte der deutsche
Gewerbfleiß den weiten Vorsprung des Auslandes einzuholen. Als die
Berlin-Anhaltische Eisenbahn gegründet wurde, bestellte sie in England
15 Lokomotiven und nur 6 bei Borsig; der aber tat sein Bestes mitsamt
seinen wohlgeschulten Leuten, die sich stolz als eine Aristokratie in der
Berliner Arbeiterschaft fühlten, und in dem Jahrzehnt nach 1842 lieferte
er der Bahn schon 19 Lokomotiven, England und Belgien zusammen nur
noch 16. Zugleich begannen die Deutschen auch für den übrigen Eisenbahn-
bedarf selbst zu sorgen, seit Caspar Harkort bei Hagen zuerst Eisenbahn-
wagenräder gefertigt hatte.