Die neuen Kapitalmächte. 509
lassen, als sie vor einem Vierteljahrhundert mit hausväterlicher Sorgsam—
keit ihrem verarmten Volke die neuen Steuern auferlegten. In dem reichen
Köln entrichteten um 1845 nur fünf Firmen die höchste Gewerbesteuer
mit 260 Tlr., und darunter waren die weltbekannten Bankhäuser Sal.
Oppenheim und Schaaffhausen; die größte der beiden Rhein-Dampfschiffs-
gesellschaften zahlte nur 91 Tlr. Nun gar die bescheidenen höchsten Sätze
der Klassensteuer erschienen diesen Vermögen gegenüber wie Hohn, und mit
gerechtem Groll sah der kleine Mann, wie unbillig der Reichtum bevorzugt
wurde. Dic neuen Kapitalmächte zeigten gar nichts von jener großartigen,
gemeinnützigen, ganze Städte schmückenden und darum versöhnenden Frei-
gebigkeit, welche den reichen Leuten des klassischen Altertums durch die
Volkssitte aufgezwungen wurde. Sie benutzten nicht nur rücksichtslos ihre
Uberlegenheit auf dem Markte, sie begannen auch schon, dem Gesetze
trotzend, sich gegen die Arbeitskräfte zu verschwören; es kam an den Tag,
daß die Bonn-Kölner und die Leipzig-Dresdner Eisenbahngesellschaft sich
zur Aussperrung mißliebiger Arbeiter verabredet hatten.
Man bemerkte auch bereits die ersten Anfänge einer internationalen
Verbindung zwischen den großen Geldmächten. Im Mittelalter hatten
zuweilen deutsche und französische Ritter gemeinsam gegen das Bürger-
tum gefochten, im sechzehnten Jahrhundert die Religionsparteien aller
Länder unbedenklich die Hilfe der fremden Glaubensgenossen angerufen
wider die andersgläubigen Landsleute. Es war der Ruhm der neuesten
Geschichte, daß die Eigenart des Volkstums sich überall stark und be-
wußt ausbildete, daß die nationalen Gegensätze allmählich gewichtiger
wurden als die Gegensätze der politischen, der ständischen, der kirchlichen
Parteiung; die eigentümliche Größe der modernen Kultur lag in der
Mannigfaltigkeit ihrer nationalen Gebilde. In dieser gesunden, natür-
lichen Entwicklung trat nun plötzlich ein unheilvoller Rückschlag ein. Die
Börsenmächte aller Kulturländer begannen sich in der Stille über das
gemeinsame Geldinteresse zu verständigen, und die neue internationale
Partei des Großkapitals fand ihre natürliche Stütze an dem vaterlands-
losen Judentum. Einer der Führer der europäischen Judenschaft, der
radikale Abgeordnete Cremieux in Paris verkündete bereits triumphierend,
welche Riesenschritte Israel getan habe; und der französische Ultramontane
A. Toussenel veröffentlichte schon 1847 sein warnendes Buch Les Juifs
rois de l’époque. Die wertlose, an törichten Behauptungen überreiche
Schrift zeigte immerhin, daß ihr fanatischer Verfasser ein scharfes Witte-
rungsvermögen besaß.
Diesen Kapitalmächten stand die Masse der Arbeiter fast hilflos gegen-
über. Wohl erschienen die sozialen Mißstände in der noch unfertigen deut-
schen Großindustrie bei weitem nicht so entsetzlich wie in Frankreich oder
England der verzweifelte Schlachtruf der französischen Arbeiter: „kämpfend
sterben oder arbeitend leben“ fand in Deutschland noch keinen Widerhall.