Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Deutsche Kommunisten in Paris. 515 
verflogen war die religiöse Begeisterung der alten St. Simonisten, längst 
überwunden ihre idealistische Forderung: jedem nach seiner Fähigkeit, 
jeder Fähigkeit nach ihren Leistungen. Das junge Geschlecht sagte kurz— 
ab: jedem nach seinen Bedürfnissen; nur die Milderen begnügten sich mit 
der vieldeutigen „Organisation der Arbeit“. Da der Geldbeutel unter dem 
Bürgerkönigtum alles war und die Charte jedes politische Recht an einen 
hohen Zensus knüpfte, so mußte die radikale Opposition unausbleiblich 
ihre Angriffe wider das Eigentum selber richten. Ein wütender Haß 
gegen die besitzenden Klassen beseelte alle diese Parteien, mochten sie sich 
nun Cabetisten, Egalitäre oder Reformisten nennen; und auch darin zeigte 
sich der französische Charakter der Bewegung, daß der Name Bourgeoisie 
längst zum Schimpfwort geworden war, während der Name des deutschen 
Bürgertums, trotz allen Schmähungen der Radikalen, noch immer in 
Ehren blieb. In wunderbarer doktrinärer Verblendung wollte Guizot 
von allen den Anzeichen einer furchtbaren sozialen Revolution nichts be- 
merken; er wähnte das Volk zufrieden, weil er jederzeit auf die Zu- 
stimmung der ergebenen Kammermehrheit, des pays légal sicher zählen 
konnte; er bestritt sogar, daß ein vierter Stand bestände, da ja sein ge- 
liebter Tiers-état nach unten hin rechtlich nicht abgeschlossen war. Ganz so 
selbstgefällig wie der leitende Staatsmann selbst versicherte das Ministerium 
des Innern dem preußischen Gesandten: bei „dem lichten und positiven 
Geiste der Franzosen“ fänden die Lehren Proudhons, Cabets, Constants 
wenig Anklang; die deutschen Arbeiter zeigten sich empfänglicher, denn sie 
liebten humane und philosophische Träumerei, auch die Lehren der Wieder- 
täufer und der Illuminaten wirkten unter ihnen noch nach. Was die fran- 
zösische Polizei im einzelnen über den deutschen Kommunistenbund zu berich- 
ten wußte, bedeutete nicht viel: sie gab nur an, daß der Verein Hunderte von 
Mitgliedern zählte, darunter viele Juden und namentlich Arbeiter der feine- 
ren Berufszweige, Setzer, Mechaniker, Elfenbeindreher; unter den deutschen 
Landschaften waren Kursachsen, Thüringen und die Pfalz stark vertreten.) 
Einige der in Paris zusammengeströmten deutschen Literaten, Ruge, 
Marx, Börnstein, Bernays, Heß, Heine begannen eine Zeitschrift des inter- 
nationalen Radikalismus, den Vorwärts; es waren, bezeichnend genug, 
lauter Juden, mit der einzigen Ausnahme Ruges. Der Vorwärts brachte 
mehrere der schmutzigsten Zeitgedichte Heines, er verherrlichte in Vers und 
Prosa den Königsmörder Tschech und erfand für den König von Preußen 
den Namen: Knäs von Rußland — einen Titel, der wegen seiner Albernheit 
von der gesamten radikalen Welt alsbald freudig nachgesprochen wurde. 
Kaum ins Leben getreten, ward die Zeitschrift schon durch Guizot unterdrückt. 
Auch ihre Mitarbeiter hielten nicht lange bei einander aus. Als Heine 
*) Renseignements sur le Communisme Allemand, ausgearbeitet in der Polizei- 
abteilung des französischen Ministeriums des Innern, 17. Juni 1845 durch Graf Arnim 
nach Berlin gesendet. 
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