Die schlesischen Weber. 519
Im schlesischen Gebirge wagten die verzweifelten Weber offenen Auf-
ruhr. Die Gewerbefreiheit hatte dies zunftfreie Gewerbe zwar nicht un-
mittelbar geschädigt, wohl aber mittelbar; denn die Zahl der freien
Hausweber war seit den neuen Reformgesetzen stark angewachsen, des-
gleichen die Zahl der Kaufleute und Fabrikanten, und der scharfe Kon-
kurrenzkampf verführte die Unternehmer zu einer grausamen Hartherzig-
keit, die unter einem so gutmütigen Menschenschlage teuflisch schien.
Ungeheuer war die Macht der Trägheit in diesem entkräfteten, hoffnungs-
losen Völkchen; die Weber widersetzten sich oft der Einführung verbesserter
Arbeitsmethoden, sie entschlossen sich schwer zu anderen, lohnenden Be-
schäftigungen überzugehen, sie trieben in den Rüben= und Kartoffelfeldern
der benachbarten Grundherren unglaubliche Dieberei, und aus ihren
überschuldeten Häuschen mochten sie nicht heraus, auch wenn sie anders-
wo besser und billiger wohnen konnten. Die habgierigen Kaufleute aber
wollten ihre Waren lieber zu Spottpreisen von halbverhungerten Haus-
arbeitern beziehen als aus wohlgeordneten Fabriken. Dem Könige zitterte
das Herz, als er bei seinen Besuchen in Erdmannsdorf etwas — leider
nur zu wenig — von diesem Elend kennen lernte; er ließ dort und in
einigen anderen Orten des Gebirges durch die Seehandlung große Spinne-
reien errichten, bei denen mancher Unglückliche unterkam. In Breslau
bildeten die Grafen Dyhrn, York, Zieten und der Dichter Gustav Freytag
einen Hilfsverein, der sich bald in zahlreichen Ortsvereinen über die
Provinz verzweigte. Das alles vermochte nichts gegen den gräßlichen
Jammer. Oberpräsident Merckel aber und seine Regierungsräte wollten
das Dasein eines Notstandes gar nicht eingestehen; sie glaubten felsen-
fest an die Heilkraft der volkswirtschaftlichen Naturgesetze, die durch
Angebot und Nachfrage alles Leid von selber aufheben müßten, und wit-
terten sogar in dem Breslauer Hilfsvereine gemeinschädliche Absichten.
Ihr Mißtrauen ward erst beschwichtigt, als der Verein vorsorglich militä-
rische Hilfe anrief und den kommandierenden General, den wackeren
Grafen Brandenburg in seinen Vorstand erwählte. Erstaunlich doch, wie
diese alten in der Schule des Allgemeinen Landrechts aufgewachsenen Be-
amten so ganz vergaßen, daß der friderizianische Staat auf einer mon-
archischen Organisation der Arbeit beruht hatte und das Landrecht selbst
ein Recht auf Arbeit ausdrücklich anerkannte.
Im Frühling 1844 hörte man in den großen Weberdörfern des
Gebirges überall ein neues Volkslied, das Blutgericht singen:
Ihr Schurken all, ihr Satansbrut,
Ihr höllischen Dämone,
Ihr freßt den Armen Hab und Gut,
Und Fluch wird euch zum Lohne!
An einem Junitage wurde das Haus der Firma Zwanziger in Peters-
waldau von den Webern zerstört, und noch zwei Tage lang hauste das