Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Mieroslaweki und die polnische Emigration. 541 
Die Masse der Schlachtizen aber und die kleinen Pfarrer wollten 
sich zu den vornehmen Magnaten kein Herz fassen. Nach wüsten Kämpfen 
zwischen sechs verschiedenen Parteien blieb die Demokratische Gesellschaft 
obenauf, das Organ der Versailler Zentralisation. Sie bekannte sich zu 
„rein demokratisch-philosophischen Grundsätzen“, radikalen Lehren der 
Junghegelianer, die dem Kommunismus nahe kamen, und schrieb nicht 
bloß den Aufruhr, sondern die soziale Revolution auf ihr Banner. In 
dem wiederhergestellten Polenreiche von 1772 sollten alle sozialen Unter- 
schiede verschwinden, alle Polen wollten Brüder sein, Kinder eines Vaters, 
Gottes, einer Mutter, des Vaterlandes. Die alte natürliche Wahlver- 
wandtschaft zwischen der polnischen Adelslibertät und dem modernen Radi- 
kalismus trat wieder zu Tage. Gelehrig ging der Posener adlige Pan 
auf diese demagogischen Schlagwörter ein; wenn er in den Agronomischen, 
den Unterstützungs-, den Lese-Vereinen mit den Bauern, die ihm sonst 
die Kniee zu küssen pflegten, kameradschaftlich zusammensaß, dann ver- 
langte er liebreich, daß man ihn fortan nicht mehr Graf, sondern Bruder 
nennen solle. Auch den kirchlichen Fanatismus verschmähten die Demo- 
kraten nicht. Da der Bischofsstreit beigelegt war, so schalt man auf die 
Duldung, welche der König den Deutschkatholiken in Schneidemühl ge- 
währte. Es kam dort sogar zu blutigen Händeln, und immer wieder 
warnten die Kapläne das Bauernvolk: der Preuße will uns die Religion 
rauben! 
Die Seele der Demokratischen Gesellschaft war Ludwig von Mieros- 
lawski, ein echter Vertreter des vornehmen internationalen Demagogen- 
tums, in Frankreich geboren und der französischen Sprache mächtiger als 
der polnischen, nachher im Kriege gegen Rußland geschult; ein leichtes Ta- 
lent, nicht ganz ohne mathematisch-militärische Kenntnisse, aber noch mehr 
bewundert als Redner und Improvisator, ritterlich, eitel, geschwätzig, lie- 
benswürdig, nach Sarmatenart bald sanft, bald gewalttätig, ein Freund der 
Weiber, des Tanzes, der Toilettenkünste, so durch und durch frivol, daß er 
in einem Atem die Jungfrau Maria, das polnische Vaterland und seine 
eigene Geliebte hoch leben ließ. Daneben bestand noch eine eigentliche kom- 
munistische Partei, die in Posen durch die Schriftsteller der Stefanskischen 
BuMchhandlung vertreten wurde. Kommunismus konnte dort im Osten, wo 
das bewegliche Kapital so selten war, nichts anders bedeuten als Acker- 
verteilung. Dies Zauberwort zündete in Posen nur selten; denn hier 
waren die bäuerlichen Verhältnisse durch die Gerechtigkeit einer wohlwol- 
lenden Regierung leidlich geordnet und der Bauer vernahm die freundlichen 
Reden der vordem so hochmütigen Edelleute mit Argwohn, schon weil 
er im Verkehre mit den Schacherjuden die Lebensregel gelernt hatte: wer 
mir schmeichelt, will mich betrügen. Furchtbar aber, und ganz anders als 
die kurzsichtigen Demagogen wähnten, wirkte die kommunistische Propa- 
ganda in Galizien, wo das Landvolk längst über die schweren Roboten
	        
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