554 V. 7. Polen und Schleswigholstein.
Krakauer Freilager jeden Wert für den schlesischen Handel. Die deutschen
Kaufleute schlossen zumeist ihre Kommanditen, und die alte Krönungsstadt,
diese herrliche Schöpfung des deutschen Bürgertums, die mit ihren Erker-
bauten so lebhaft an die ostdeutschen Städte Leipzig, Eger, Breslau er-
innerte, in ihren Kirchen noch die Königsgräber von Veit Stoß und so
viele andere Denkmäler deutscher Kunst bewahrte, verfiel jetzt ganz den
Polen und den Juden. Die Vernichtung der letzten Heimstädte sar-
matischer Unabhängigkeit beförderte also am letzten Ende das Erstarken des
polnischen Volkstums. Schlesien aber berechnete seinen Verlust auf Mil-
lionen, und der Unmut hallte noch in den Bewegungen des Revo-
lutionsjahres nach. Ebenso schwach zeigte sich der Berliner Hof auch gegen
Rußland. Paskiewitsch, der brutale Statthalter in Warschau verlangte
1846, daß ihm künftighin polnische Staatsverbrecher kurzerhand auf das
Gesuch der russischen Gesandtschaft hin ausgeliefert werden sollten. Die
preußische Regierung verweigerte die vertragsmäßige Auslieferung nicht,
sie forderte nur für jeden einzelnen Fall ein rechtskräftiges Urteil oder
eine gerichtliche Anklageschrift. Nach langem Sträuben gewährte sie jedoch
selbst dies letzte Zugeständnis, das einem solchen Nachbarn gegenüber mehr
als leichtsinnig war. Und das alles geschah unter einem Monarchen, der
die Polen bis zur Schwärmerei liebte. —
Gegen das Ausland hielten die drei Teilungsmächte einträchtig zu-
sammen, weil sie wohl fühlten, daß sie nicht auf unantastbarem Rechtsboden
standen. Allerdings war das Krakauer Gebiet während des Befreiungs-
krieges durch Rußland erobert und dann, weil man sich nicht anders zu
einigen wußte, durch die drei Teilungsmächte allein als eine neutrale Re-
publik neu gestaltet worden; aber die Haupt-Artikel des Vertrages über die
Neutralität und Unabhängigkeit Krakaus hatten nachträglich auch Aufnahme
in die Schlußakte des Wiener Kongresses (Art. 6 ff.) gefunden. Was be-
deutete dies für das Völkerrecht? Die Ostmächte behaupteten, der von
ihnen geschaffene Freistaat könne auch durch sie allein vernichtet werden;
die anderen Unterzeichner der Kongreßakte dürften nur verlangen, über
solche Anderungen amtliche Nachricht zu erhalten. Diese auch von dem
konservativen Bonner Juristen Perthes in einer verständigen Druckschrift
verteidigte Ansicht entsprach dem Völkerrechte; denn die Kongreßakte ent-
hielt auch noch eine Menge anderer Einzelverträge, von denen mehrere
schon durch freiwillige Übereinkunft der Vertragschließenden anstandslos
abgeändert worden waren; überdies stand der Krone Frankreich gewiß
kein Einspruchsrecht zu, weil die Sieger sich im Pariser Frieden ausdrück-
lich vorbehalten hatten, über die Verteilung der eroberten Gebiete allein
ohne Frankreichs Mitwirkung zu entscheiden. Immerhin ließen sich mit
einigem Scheine Rechtsbedenken erheben, da die Unabhängigkeit Krakaus
doch in den Wiener Verträgen verbürgt war. Um so unanfechtbarer
waren die politischen Gründe, welche die Ostmächte zwangen, einer diplo-