Krakau und die Westmächte. 555
matischen Mißgeburt, die man niemals hätte schaffen sollen, endlich den
Garaus zu machen; und mit gutem Grunde wiederholte Metternich be—
ständig: stat pro voluntate necessitas.
Wenn die Westmächte gegen solche Notwendigkeit die Heiligkeit der
Wiener Verträge anriefen, so handelten sie von Haus aus unredlich; denn
diese Verträge hatte Frankreich durch die Juli-Revolution, England durch
die Anerkennung Belgiens gröblich verletzt, und kein denkender Kopf durfte
jetzt noch verkennen, daß die Weltgeschichte vor dieser papierenen Schranke
nicht ewig still halten konnte. Und wie frech hatten beide Westmächte gegen
das Völkerrecht gesündigt durch die langjährige Begünstigung der polnischen
Verschwörer. Dafür gab es gar keine Entschuldigung. Die Versailler Zen—
tralisation trieb ihr Unwesen ungescheut dicht vor der Tür der Tuilerien —
was die konservativen Pariser Blätter selbst rügten — und vor kurzem erst
hatte der ehrliche Radikale Duncombe im Parlamente enthüllt, daß die eng—
lische Regierung das Recht der Brieferbrechung nicht nur besaß, sondern
auch handfest ausübte 7); es lag also allein an ihrem bösen Willen, wenn
die polnischen Rebellen unbehelligt blieben. Schon im März 1846, gleich
nach der Besetzung Krakaus mahnte Guizot die drei Höfe salbungsvoll an
„die Achtung vor den Verträgen, eine der festesten Grundlagen der kon-
servativen Politik.“ *) Nach der Einverleibung legte er (4. Dez.) im
Namen Frankreichs feierliche Verwahrung ein: „Frankreich könnte sich
einer Tat freuen, welche ihm nach dem Rechte der Gegenseitigkeit erlauben
würde, künftighin nur noch der weitsichtigen Berechnung seiner Interessen
zu folgen. Und doch ist es Frankreich, das an die treue Beobachtung der
Verträge die Mächte erinnert, welche daraus die größten Vorteile gezogen
haben“ — und so weiter noch ein langer Wortschwall.**) Mit vollem
Rechte spottete Canitz über diese „rauhe Rechtschaffenheit“. Er wußte,
welche unsauberen Ränke der tugendstolze französische Minister soeben in
Madrid trieb; er wußte auch, wie Ludwig Philipp selbst über Guizots
Sittenpredigten dachte. Eifriger denn je bewarb sich der Bürgerkönig
jetzt um die Gunst des Wiener Hofes, da er in Spanien mit Englands
Feindschaft zu ringen hatte. Mit seiner gewohnten plebejischen Derbheit
sagte er zu Apponyi: Ich habe nie etwas Dümmeres gesehen als die
Republik Krakau. Sie war das Seitenstück zu jener lächerlichen Phrase
von der polnischen Nationalität in unserer Kammer, welche meine Mi-
nister trotz meinem Drängen nie zu bekämpfen den Mut hatten. )
Auch dem englischen Kabinett lagen die spanischen Händel weit näher
als der Krakauer Streit, der ja gar kein britisches Interesse berührte.
*) Bunsens Berichte, 17. Juni, 14. Dez. 1844.
**) Guizot, Weisung an Rayneval in Petersburg, 24. März 1846.
*#) Guizot, Weisung an den Marquis de Dalmatie, 4. Dez., nebst Begleitschreiben
vom 5. Dez. 1846.
) Apponyis Bericht, 23. Nov. 1846.