Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

562 V. 7. Polen und Schleswigholstein. 
ziemlich aufrichtig reden, was ihm die Mitangeklagten sehr verargten. Der 
langmütige Gerichtshof erlaubte ihm sogar — gegen das Gesetz — fran- 
zösisch zu sprechen; denn dieser Führer der polnischen Nation war der 
polnischen Sprache wirklich nicht ganz mächtig und er berechnete schlau, 
daß eine französische Rede doch von einem Teile der beifallslustigen Zu- 
hörer verstanden würde, während ein polnischer Vortrag, satzweise ver- 
dolmetscht, alle langweilen mußte. Die prachtvollen Schlagworte, die er 
nunmehr mit hochtheatralischen Armbewegungen in fließendem Französisch 
vorbrachte, waren freilich mehr für polnische Schlachtizen geeignet, als 
für überkluge Berliner, die das alles schon aus den Zeitungen kannten. 
Da fehlte weder der verfluchte Mutterschoß, der der Unterdrückung ein 
Opfer gebar, noch der Rabe der Verleumdung auf dem polnischen Kreuze, 
noch die Nation, die ein ganzes Jahrhundert hindurch mit Galle und 
Essig getränkt am Kreuze schmachten mußte. Gegen Preußen hatte Mieros- 
lawski gar nichts Arges im Schilde geführt; die Einnahme der Festung 
Posen sollte ihm ja nur als Mittel dienen, um das russische Polen zu 
erobern. Sehr rührsam führte er aus, welche schöne Rolle die Preußen 
spielen könnten, wenn sie sich entschlössen, zur Entschädigung für die ihnen 
zugefallenen polnischen Länder, die übrigen den Polen zurückzuerobern: 
„Preußens Zukunft muß sich befreunden mit der Auferstehung einer 
Macht, welche einzig im stande ist, das drohende Ungeheuer des Pan- 
slawismus aufzuhalten.“ 
So stimmte dieser Todfeind Preußens das Sirenenlied an, das seit- 
dem bis zum heutigen Tage nach mannigfachen Weisen den gutmütigen 
Deutschen immer wieder vorgesungen wurde. Zum Glück richtete der 
Marquis Wielopolski eben jetzt an Metternich einen offenen Brief, der 
das genaue Gegenteil aussprach und, nach heftigen Anklagen gegen die 
elende österreichische Regierung, zu dem Schlusse gelangte: die Polen hätten 
nur dann noch eine Zukunft, wenn sie sich der großen Familie des Pan- 
slawismus anschlössen, wenn sie, statt ihr Land durch eine törichte Emi- 
gration zu schwächen, friedlich arbeitend daheim blieben, um sich zur 
rechten Zeit unter die Führung ihrer großmütigsten Feinde, der Ro- 
manows, unter das gemeinsame Banner des slawischen Volkstums zu 
stellen. Dieser offene Brief kam den demokratischen Posener Schlachtizen 
sehr ungelegen, aber bei den Magnaten des russischen Polens galt der reiche 
Marquis weit mehr als Mieroslawski, und auch unter dem Warschauer 
Kleinadel besaß der Panslawismus viele Anhänger. Welchem der beiden 
polnischen Apostel sollten die Deutschen nun Glauben schenken? Gegen 
solche Nachbarn war wachsame Strenge die einzig mögliche Politik. 
Mieroslawskis Schicksalsgenossen verscherzten sich das Mitleid, das 
politischen Verbrechern immer entgegenkommt, selber durch würdelose Ver- 
logenheit. Offenbar nach Verabredung leugneten sie fast alles ab, und die 
anfangs überfüllten Zuhörerbänke leerten sich gegen das Ende der Verhand-
	        
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