Orla Lehmann und die Eiderdänen. 569
Bürgertum an aufstrebenden Talenten besaß: die unruhige Studenten—
schaft der Hauptstadt, die verschwiegerten und vervetterten Professoren—
familien, die sich auch in ihrem Erwerbe beeinträchtigt sahen, weil die
alte Nebenbuhlerin Kiel allein berechtigt war, die jungen Leute für die
Ämter Schleswigholsteins vorzubilden, dann die Kaufleute und Reeder,
denen die Zeitung Fädrelandet als beredtes Organ diente, endlich fast
alle guten Köpfe aus den Kreisen der jüngeren Beamten und Offiziere.
Der gelehrte Philolog Madvig, der Hauptmann Tscherning, die Theologen
Clausen und Monrad zeichneten sich durch ihren Fanatismus aus; sie alle
sprachen aus tiefer Überzeugung und mit dem frohen Bewußtsein, auf
der Höhe der Zeit zu stehen.
Wie die Eiderdänen über das historische Recht der deutschen Herzog-
tümer dreist hinwegstürmten, so verlangten sie auch für ihren dänischen
Einheitsstaat eine radikale Neugestaltung. Dieselben demokratischen Kräfte,
welche vor hundertundachtzig Jahren durch die Kopenhagener Revolution
das Königsgesetz geschaffen, den Adel der Krone unterworfen hatten,
trachteten jetzt die Alleingewaltherrschaft des Königsgesetzes durch einen
schrankenlosen Parlamentarismus zu verdrängen. Das Vorbild Norwegens
und die Schriften der altbefreundeten Franzosen wirkten auf die Ideen
dieser jungen skandinavischen Demokratie kräftig ein; mancher hoffte auch
wohl im Herzen, einen Teil der Deutschen Schleswigholsteins durch
den Zauber liberaler Glückseligkeit zu gewinnen. Da der Adelshaß im
dänischen Landvolk tief eingewurzelt und der Name des königlichen „Volks-
freundes“ Christians II. noch unvergessen war, so spendeten auch zahl-
reiche Bauernversammlungen den Freiheitslehren der radikalen Haupt-
stadt ihren Beifall. Die ganze Bewegung zeigte von Haus aus das lär-
mende, rauschende Wesen, das der lebenslustigsten Stadt Nordeuropas
zusagte. Zweckessen und Bankette, Versammlungen und Festgelage, Er-
innerungsfeiern und Aufzüge drängten sich in rascher Folge; sogar die
Totenfeier für Thorwaldsen wurde so ganz im Geiste des streitbaren
Dänentums gehalten, daß die Schleswigholsteiner sich unmöglich beteiligen
konnten. In Scharen zogen die Studenten über den Sund, um sich mit
den schwedischen Kommilitonen zu verbrüdern; dann erwiderten die
Schweden den Besuch, festlich begrüßt von Orla Lehmanns neuer Skan-
dinavischer Gesellschaft. Auf der großen skandinavischen Naturforscher-
versammlung feierte der Prinz von Canino, ein Napoleonide, der sich der
internationalen Demokratie in die Arme geworfen hatte, die Union der
drei Kronen des freien Nordens; und gewaltig brauste der Jubel auf, als
einmal König Oskar selbst auf einige Tage herüberkam.
Als Orla Lehmann seine öffentliche Tätigkeit begann (1837), da trat
ihm der verdiente alte dänische Historiker Baden offen entgegen und mahnte
den jungen Mann, er möge sich bei seinem gelehrten Vater unterrichten,
um also zu lernen, daß es „eine Sünde“ sei, Schleswig von Holstein zu