Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Schleswigholstein und der Offene Brief. 577 
König ihre letzten Beschlüsse mit gerechtem Befremden vernommen habe. 
Auf den Antrag des Grafen Reventlow-Preetz beschlossen sie sodann eine 
scharfe Adresse, und als Scheel diese Eingabe kurzerhand zurückwies, rich— 
teten sie zur Verwahrung des Landrechts eine Beschwerdeschrift an den 
Deutschen Bund. Nunmehr wollte ihnen Scheel alle weiteren Vorstel— 
lungen verbieten; da erklärten sämtliche Abgeordnete, bis auf sechs, ihren 
Austritt. Die Einberufung der Stellvertreter fruchtete nichts, der Land— 
tag war tatsächlich aufgelöst. 
Im Oktober versammelte sich auch der Landtag Schleswigs, und hier 
scharte sich alles um den Präsidenten Wilhelm Beseler wie in Itzehoe um 
Reventlow-Preetz. Wie immer in Zeiten ernster Volksbewegung fanden 
sich rasch die geborenen Führer. Beseler war Rechtsanwalt, ein stattlicher 
Mann von starkem Selbstgefühl und würdiger Haltung, zäh und tapfer, 
in seinen politischen Grundsätzen ebenso gemäßigt wie Reventlow, nur daß 
er dem bürgerlichen Liberalismus näher stand. Mehr als hundert Adressen 
aus dem Herzogtum liefen ein. Die meisten wurden persönlich überreicht, 
fast alle sprachen scharf gegen den Offenen Brief. Die Beratungen ver- 
liefen stürmisch, der Koogbesitzer Tiedemann und der Jurist Gülich be- 
kämpften freimütig das ganze System der Regierung. Dann beantragte 
der Herzog von Augustenburg eine Adresse, welche den König um die Ge- 
währung einer gemeinsamen schleswigholsteinischen Verfassung bitten 
sollte. Rechtzeitig überwand er also seinen Widerwillen gegen die liberalen 
Ideen; denn nach allem, was geschehen, ließ sich die Selbständigkeit der 
Herzogtümer unter beratenden Provinzialständen nicht mehr aufrecht 
halten. Der Antrag wurde mit allen gegen zwei Stimmen angenommen. 
Scheel aber erklärte, vor allen anderen Vorschlägen müßten zuerst die 
königlichen Propositionen beraten werden; offenbar beabsichtigte er, durch 
plötzliche Schließung des Landtags den Ständen ihr verfassungsmäßiges 
Petitionsrecht ganz zu verderben. Da er nicht nachgab, so verließ endlich 
der Herzog, unter feierlicher Verwahrung, den Saal, und ihm folgte die 
große Mehrheit der Versammlung. Damit war auch dieser Landtag auf- 
gelöst, die alte Provinzialstände-Verfassung brach von selbst zusammen. 
Das Land war ohne Vertretung; darum sendete die Ritterschaft, auf 
Reventlows Betrieb, nochmals eine Rechtsverwahrung an den König. 
Unterdessen hatte Christian wieder seine gewohnte Sommerreise durch 
die Herzogtümer unternommen, aber er fand ein verwandeltes Volk. 
Eisige Kälte überall, zu den Empfängen erschien fast niemand außer den 
Beamten; als er die Truppen musterte, da sangen die Volksmassen dicht 
neben ihm: Schleswigholstein meerumschlungen! Das wurmte ihn doch. 
An seinem Geburtstage, am 18. Septbr. erließ er einen zweiten Offenen 
Brief, der den Deutschen in gemütlich patriarchalischem Tone beteuerte, 
die Selbständigkeit Holsteins solle nicht im mindesten gefährdet, sondern 
durch die Unzertrennlichkeit der Monarchie nur gesichert werden. Was 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 37
	        
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