Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Dänemark und die Großmächte. 581 
es — sich fest an Deutschland anschließen, zu seiner Sicherung preußi- 
sche Truppen herbeirufen, vielleicht gar der preußischen Flotte, deren 
erstes Schiff soeben vom Stapel gelaufen war, den schönsten Hafen der 
Ostsee einräumen. Ein deutscher Kriegshafen in Kiel I— dieser eine 
Gedanke genügte, um jedes englische Herz zu empören. Aus Haß gegen 
Deutschland wurden Dänemarks Erbfeinde, die Briten jetzt freundliche 
Gönner des Kopenhagener Hofes. Gleich nach dem Erscheinen des Offenen 
Briefs schrieb die Times, damals noch das mächtige Organ der nationalen 
Meinung: „Die preußischen Staatsmänner können nicht freigesprochen 
werden von dem Vorwurfe, daß sie mit einer gewissen Bereitwilligkeit 
eine fieberische, der Ruhe eines Nachbarlandes gefährliche Aufregung leben- 
dig erhalten haben, weil es ihnen einfiel, die deutsche Nation ange- 
nehm zu unterhalten (to amuse), und weil sie vielleicht deren Aufmerksam- 
keit von anderen, weit mehr praktischen und der Heimat viel näher liegen- 
den Fragen ablenken wollten.“ Dann wurde Deutschland gewarnt vor der 
Ländergier, die schon in der neuen Welt gefährlich, im Herzen Europas 
verderblich wirke. Mit solcher Heuchelei wagte ein Volk, das sich Jahr 
für Jahr neue Kolonien aneignete, die Deutschen zu beschimpfen, weil sie 
bescheiden das Erbe ihrer Väter behaupten wollten! Die Regierung hielt 
sich noch zurück: sie wünschte zunächst nur, daß der dänische Gesamtstaat 
zusammenbliebe, gleichviel unter welchem Herrscherhause; denn sie be- 
trachtete ihn, wunderlich genug, als ein Bollwerk gegen Rußland! 
Etwas dreister wagte sich Frankreich, der alte treue Bundesgenosse 
Dänemarks hervor. Das Verhältnis zwischen den beiden Höfen war sehr 
herzlich. Ludwig Philipp sendete einmal den halbverschollenen alten 
Herzog Decazes, bourbonischen Andenkens, der zugleich dänischer Vasall 
war, als außerordentlichen Botschafter hinüber; der Dänenkönig fühlte 
sich sehr geschmeichelt und ernannte Guizot zum ersten bürgerlichen 
Ritter seines Elefantenordens. Unterdessen reiste der französische Ge- 
sandte Baron Billing zwischen Kopenhagen, Paris und London ge- 
heimnisvoll hin und her, um die Pläne König Christians zu befördern; 
er witterte heraus, sein Beobachtungsposten müsse jetzt zu einem Aktions- 
posten werden, und erhielt von Guizot Befehl, den Bestrebungen Preußens 
und Rußlands entgegenzuarbeiten, obgleich die beiden Ostseemächte hier 
am Sunde keineswegs zusammengingen.) Alle diese kleinen diplomatischen 
Zettelungen blieben zunächst ohne Folgen. Der Tuilerienhof betrachtete 
den dänischen Gesamtstaat als ein europäisches Heiligtum; von näheren 
Sorgen bedrängt, hatte er sich jedoch eine feste Ansicht über die Erb- 
folgefrage bisher noch nicht gebildet. 
Die Westmächte konnten in Schleswigholstein für sich selbst nichts 
verlangen. Der Petersburger Hof dagegen verriet schon deutlich, daß 
  
*) Schoultz v. Ascheradens Berichte, 16. Jan., 25. 30. Mai, 25. Juni 1846.
	        
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