Dänemark und die Großmächte. 581
es — sich fest an Deutschland anschließen, zu seiner Sicherung preußi-
sche Truppen herbeirufen, vielleicht gar der preußischen Flotte, deren
erstes Schiff soeben vom Stapel gelaufen war, den schönsten Hafen der
Ostsee einräumen. Ein deutscher Kriegshafen in Kiel I— dieser eine
Gedanke genügte, um jedes englische Herz zu empören. Aus Haß gegen
Deutschland wurden Dänemarks Erbfeinde, die Briten jetzt freundliche
Gönner des Kopenhagener Hofes. Gleich nach dem Erscheinen des Offenen
Briefs schrieb die Times, damals noch das mächtige Organ der nationalen
Meinung: „Die preußischen Staatsmänner können nicht freigesprochen
werden von dem Vorwurfe, daß sie mit einer gewissen Bereitwilligkeit
eine fieberische, der Ruhe eines Nachbarlandes gefährliche Aufregung leben-
dig erhalten haben, weil es ihnen einfiel, die deutsche Nation ange-
nehm zu unterhalten (to amuse), und weil sie vielleicht deren Aufmerksam-
keit von anderen, weit mehr praktischen und der Heimat viel näher liegen-
den Fragen ablenken wollten.“ Dann wurde Deutschland gewarnt vor der
Ländergier, die schon in der neuen Welt gefährlich, im Herzen Europas
verderblich wirke. Mit solcher Heuchelei wagte ein Volk, das sich Jahr
für Jahr neue Kolonien aneignete, die Deutschen zu beschimpfen, weil sie
bescheiden das Erbe ihrer Väter behaupten wollten! Die Regierung hielt
sich noch zurück: sie wünschte zunächst nur, daß der dänische Gesamtstaat
zusammenbliebe, gleichviel unter welchem Herrscherhause; denn sie be-
trachtete ihn, wunderlich genug, als ein Bollwerk gegen Rußland!
Etwas dreister wagte sich Frankreich, der alte treue Bundesgenosse
Dänemarks hervor. Das Verhältnis zwischen den beiden Höfen war sehr
herzlich. Ludwig Philipp sendete einmal den halbverschollenen alten
Herzog Decazes, bourbonischen Andenkens, der zugleich dänischer Vasall
war, als außerordentlichen Botschafter hinüber; der Dänenkönig fühlte
sich sehr geschmeichelt und ernannte Guizot zum ersten bürgerlichen
Ritter seines Elefantenordens. Unterdessen reiste der französische Ge-
sandte Baron Billing zwischen Kopenhagen, Paris und London ge-
heimnisvoll hin und her, um die Pläne König Christians zu befördern;
er witterte heraus, sein Beobachtungsposten müsse jetzt zu einem Aktions-
posten werden, und erhielt von Guizot Befehl, den Bestrebungen Preußens
und Rußlands entgegenzuarbeiten, obgleich die beiden Ostseemächte hier
am Sunde keineswegs zusammengingen.) Alle diese kleinen diplomatischen
Zettelungen blieben zunächst ohne Folgen. Der Tuilerienhof betrachtete
den dänischen Gesamtstaat als ein europäisches Heiligtum; von näheren
Sorgen bedrängt, hatte er sich jedoch eine feste Ansicht über die Erb-
folgefrage bisher noch nicht gebildet.
Die Westmächte konnten in Schleswigholstein für sich selbst nichts
verlangen. Der Petersburger Hof dagegen verriet schon deutlich, daß
*) Schoultz v. Ascheradens Berichte, 16. Jan., 25. 30. Mai, 25. Juni 1846.