596 V. 8. Der Vereinigte Landtag.
so ganz anders verfuhr als sein Vorbild Carnot. Der Franzose hatte einst
das Heer gekräftigt durch die Vereinigung der Linie mit dem Volksauf-
gebote, der Deutsche suchte beide streng auseinander zu halten. Er erwirkte
sogar (1847) einen königlichen Befehl, kraft dessen auch die Landwehr-
schwadronen künftighin nur im Notfalle durch Linienoffiziere befehligt
werden sollten; und doch ließen sich rüstige Landwehrrittmeister noch weit
schwerer auffinden als tüchtige Landwehrhauptleute. Er beförderte selbst
einzelne Landwehroffiziere in die Stabsoffiziersstellen, was seit 1820 fast
nie mehr geschehen war. Auch das übertriebene Lob, das er nach jedem
Manöver den Landwehren spenden ließ, wirkte schädlich. In dieser Be-
günstigung der Landwehr lag die Schwäche seiner zweiten Amtsführung,
und es konnte nicht fehlen, daß die Linienoffiziere oft über ihn klagten;
selbst General Canitz sprach von dem alten Kriegsminister mit der ärgsten
Ungerechtigkeit. Ohnehin hatte der langweilige Frieden in der Armee viel
böses Blut aufgeregt. Das Avancement stockte gänzlich; die Hauptleute
waren im Durchschnitt älter als vor der Schlacht von Jena, zudem schlech-
ter bezahlt und unvergleichlich stärker beschäftigt. Die Linienregimenter
murrten, weil die Garde ihnen die von ihr selbst schlecht ausgebildeten
Offiziere zusendete. Über den unmilitärischen Monarchen erlaubten sich
selbst die jüngeren königlichen Prinzen zuweilen rücksichtslose Urteile.)
Seit dem Tode Grolmans (1843) war der Prinz von Preußen die Hoff-
nung der Armee, und von ihm wußte man doch auch, daß er mit dem
königlichen Bruder wenig übereinstimmte, obschon er im Kreise der
Offiziere stets eine gemessene Haltung bewahrte.
Anhaltende Streitigkeiten zwischen dem Heere und dem Volke sind
in einem Staate der allgemeinen Wehrpflicht stets ein Zeichen verschro-
bener politischer Zustände, und in der Tat ließ es sich nur aus der
krankhaften Verstimmung der Zeit erklären, daß unter der Verwaltung
eines für liberal gehaltenen Kriegsministers Bürger und Soldaten häufiger
als je zuvor miteinander in Händel gerieten. Einige Schuld trugen die
Offiziere selbst. Der hochmütige Ton von 1806 wurde oft wieder laut,
in Berlin gab der Gouverneur General Müßffling durch schnöde Behand-
lung der Gemeindebehörden ein schlechtes Beispiel. Die größere Schuld
trugen jedoch die Parteimänner der Opposition, die in selbstmörderischer
Verblendung das Heer reizten und beschimpften, während die französischen
Demagogen den Truppen klug zu schmeicheln wußten. Den Flugschriften
der Flüchtlinge schien kein Schmähwort zu gemein für die Hundetreue
der vertierten Söldlinge, aber auch die Blätter der gemäßigten Liberalen
redeten vom Heere mit einer verständnislosen Gehässigkeit, die wir heute
kaum noch begreifen. Da hießen die Kadettenhäuser „Mißgeburten einer
*) General v. Thile II., Denkschrift über die Mißstimmung in der Armee, o. D.
(etwa 1847).