Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Letzte Beratungen der Verfassungskommission. 605 
als Reichsstände auseinander gehen werden.“ Vor einigen Diplomaten 
äußerte er zwar mit gewohnter Ruhmredigkeit: ich habe den preußischen 
Verfassungsplan getötet. In Wahrheit fühlte er sich beklommen. Die 
Nachrichten von den Leipziger Unruhen, die gerade während der Festlich— 
keiten auf Stolzenfels einliefen, bekümmerten ihn schwer; er sah darin „ein 
Vorpostengefecht“ der Revolution, eine neue Bestätigung seiner alten Be— 
hauptung, „daß das Feuer brennt und das Scheidewasser ätzt,“ und im 
November schrieb er warnend an Canitz: „Bei Ihnen ist schrecklich viel 
auf einmal in Angriff genommen, und wo dies stattfindet, besteht Gefahr. 
Die Dinge wachsen dem kräftigsten Menschen leicht über den Kopf. Ich 
weiß nun, daß man mir hierauf antworten wird: das preußische Volk 
ist ein anhängliches, überlegendes, nicht leicht verführbares; und dies eben 
ist es, was ich weder für das preußische noch für kein Volk der Erde — 
die Beduinenstämme etwa ausgenommen — als vollkommen richtig an— 
nehme, denn nur die Wüste und das freie Leben in ihr kann keinen Er— 
satz finden.“ Ich bin, so fuhr er fort, in meinem langen Leben „nie 
stehen geblieben, ich bin stets mit der Zeit gegangen“, aber noch niemals 
habe ich schwerere Gefahren erlebt, denn „heute steht die Revolution ent- 
körpert und durch die Zeit geglättet vor einer Generation wieder da, welche 
sie in der Periode der lebendigen Kämpfe nicht gekannt hat.“7) 
Die Verfassungskommission hielt unterdessen, im Juli, dann nochmals 
seit Ende Septembers, langwierige Beratungen. Fünf Minister, der Fürst 
v. Solms-Lich und der hochkonservative brandenburgische Landtagsmar- 
schall Rochow--Stülpe gehörten ihr an. Sie alle erklärten, Rochow allein 
ausgenommen,") allgemeine Landstände für notwendig; sie wünschten 
aber, der König möge statt einen unförmlichen Vereinigten Landtag zu 
berufen, vielmehr die schon vorhandenen Vereinigten Ausschüsse verstärken 
und mit reichsständischen Rechten ausstatten; so hätte sich alles weit ein- 
facher gestaltet. Besonders lebhaft warnte der alte Rother, „selbst bei zu 
besorgender Ungnade'“. Einstimmig verwahrte sich die Kommission gegen die 
Bildung eines gesonderten Herrenstandes, die der bisherigen Verfassung 
widerspreche.**) Doch was vermochten Kommissionsbedenken gegen Fried- 
rich Wilhelms selbstherrlichen Willen? Er hielt alle seine Pläne standhaft 
fest: den Vereinigten Landtag mitsamt der Herrenkurie, deren förmliche 
Einrichtung er sich für die Zukunft vorbehielt, sodann die ständische Ge- 
nehmigung aller Anleihen in Friedenszeiten, endlich das Recht der Be- 
willigung neuer Steuern. Dies alte Recht deutscher Landstände schien ihm 
ganz ungefährlich, denn an eine Erhöhung der direkten Steuern war, so 
meinte er, in einer absehbaren Zukunft niemals zu denken, die Zölle aber 
*) Metternich an Canitz, 25. Aug., 6. Nov. 1845. 
**) Rochow-Stülpe, Denkschrift an den König, 13. Juli 1845 
) Bericht der Immediatkommission an den König, 13. Okt.; Rother an Thile 
6. Nov. 1845. 
 
	        
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