Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

610 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
Preußen und dem gesamten Staatsministerium gegengezeichnete königliche 
Verordnungen über den Vereinigten Landtag, den Vereinigten Ausschuß 
und die Staatsschuldendeputation. Danach sollten die gesamten Pro— 
vinzialstände künftighin zu einem Vereinigten Landtage zusammentreten, 
so oft der König sie in Friedenszeiten zur Genehmigung von Staats— 
anleihen oder zur Erhöhung der Steuern oder auch aus anderen Grün— 
den einberiefe. Der Vereinigte Landtag erhielt das Recht der freien Be— 
willigung neuer oder erhöhter Steuern und das Petitionsrecht in allen 
inneren Angelegenheiten; er hatte auch, wenn es dem Könige gefiel, über 
Gesetzentwürfe zu beraten. Innerhalb des Vereinigten Landtags ward 
ein Herrenstand eingerichtet, der vorläufig aus den königlichen Prinzen 
und den 72 vornehmsten Mitgliedern der Provinzialstände bestehen und 
späterhin, nach königlichem Ermessen, noch verstärkt werden sollte; er be— 
riet und beschloß über Finanzsachen mit den drei anderen Ständen gemein— 
sam, über alle anderen Angelegenheiten für sich allein. Daneben aber 
blieben die Vereinigten Ausschüsse fortbestehen; sie wurden fortan perio— 
disch, aller vier Jahre, versammelt und erhielten der Regel nach die 
neuen Gesetze zur Beratung vorgelegt, konnten auch in einzelnen Finanz— 
sachen den Vereinigten Landtag vertreten; und zudem behielt die Krone 
sich noch vor, allgemeine Gesetze nach Gutdünken den Provinziallandtagen 
vorzulegen. Die Genehmigung der Kriegsanleihen endlich und die regel— 
mäßige Prüfung der Staatsschulden-Rechnungen wurde einer ständi— 
schen Staatsschuldendeputation zugewiesen, die aus acht Mitgliedern — je 
einem für jeden Provinziallandtag — bestehen und jährlich mindestens 
einmal tagen sollte. 
Also traten des Königs ursprüngliche Entwürfe fast Wort für Wort 
ins Leben, die langen Verhandlungen seiner Räte hatten an diesem 
seinem eigensten Werke nichts Wesentliches geändert. Es war ein großer 
Schritt, größer als der König selbst glaubte. Friedrich Wilhelm wähnte 
die Zukunft seines Verfassungswerkes noch ganz in seiner Herrscherhand 
zu halten. Jedoch eine so starke ständische Vertretung mußte, einmal 
berufen, kraft ihrer eigenen Schwere fortbestehen, und sie besaß schon 
zwei verbriefte wirksame Rechte; denn ohne Eisenbahn-Anleihen konnte der 
Staat nicht mehr auskommen, und nach der gewaltigen Änderung aller 
sozialen Verhältnisse wurde auch eine Umgestaltung des Steuersystems, 
obgleich der König davon noch nichts ahnte, in naher Zukunft unvermeid- 
lich. Wider Wissen und Willen führte Friedrich Wilhelm seinen Staat 
in die Bahnen des konstitutionellen Lebens hinüber. 
Aber wie eigensinnig verdarb sich der Gesetzgeber sein edel gedachtes 
Werk durch Künstelei und Willkür! Schien es doch fast, als wollte er 
absichtlich Rechtsbedenken und Proteste hervorrufen. Weshalb wurde die 
Verordnung vom Mai 1815, die doch unzweifelhaft noch zu Recht bestand 
und den späteren ständischen Gesetzen keineswegs widersprach, fast mutwillig
	        
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