610 V. 8. Der Vereinigte Landtag.
Preußen und dem gesamten Staatsministerium gegengezeichnete königliche
Verordnungen über den Vereinigten Landtag, den Vereinigten Ausschuß
und die Staatsschuldendeputation. Danach sollten die gesamten Pro—
vinzialstände künftighin zu einem Vereinigten Landtage zusammentreten,
so oft der König sie in Friedenszeiten zur Genehmigung von Staats—
anleihen oder zur Erhöhung der Steuern oder auch aus anderen Grün—
den einberiefe. Der Vereinigte Landtag erhielt das Recht der freien Be—
willigung neuer oder erhöhter Steuern und das Petitionsrecht in allen
inneren Angelegenheiten; er hatte auch, wenn es dem Könige gefiel, über
Gesetzentwürfe zu beraten. Innerhalb des Vereinigten Landtags ward
ein Herrenstand eingerichtet, der vorläufig aus den königlichen Prinzen
und den 72 vornehmsten Mitgliedern der Provinzialstände bestehen und
späterhin, nach königlichem Ermessen, noch verstärkt werden sollte; er be—
riet und beschloß über Finanzsachen mit den drei anderen Ständen gemein—
sam, über alle anderen Angelegenheiten für sich allein. Daneben aber
blieben die Vereinigten Ausschüsse fortbestehen; sie wurden fortan perio—
disch, aller vier Jahre, versammelt und erhielten der Regel nach die
neuen Gesetze zur Beratung vorgelegt, konnten auch in einzelnen Finanz—
sachen den Vereinigten Landtag vertreten; und zudem behielt die Krone
sich noch vor, allgemeine Gesetze nach Gutdünken den Provinziallandtagen
vorzulegen. Die Genehmigung der Kriegsanleihen endlich und die regel—
mäßige Prüfung der Staatsschulden-Rechnungen wurde einer ständi—
schen Staatsschuldendeputation zugewiesen, die aus acht Mitgliedern — je
einem für jeden Provinziallandtag — bestehen und jährlich mindestens
einmal tagen sollte.
Also traten des Königs ursprüngliche Entwürfe fast Wort für Wort
ins Leben, die langen Verhandlungen seiner Räte hatten an diesem
seinem eigensten Werke nichts Wesentliches geändert. Es war ein großer
Schritt, größer als der König selbst glaubte. Friedrich Wilhelm wähnte
die Zukunft seines Verfassungswerkes noch ganz in seiner Herrscherhand
zu halten. Jedoch eine so starke ständische Vertretung mußte, einmal
berufen, kraft ihrer eigenen Schwere fortbestehen, und sie besaß schon
zwei verbriefte wirksame Rechte; denn ohne Eisenbahn-Anleihen konnte der
Staat nicht mehr auskommen, und nach der gewaltigen Änderung aller
sozialen Verhältnisse wurde auch eine Umgestaltung des Steuersystems,
obgleich der König davon noch nichts ahnte, in naher Zukunft unvermeid-
lich. Wider Wissen und Willen führte Friedrich Wilhelm seinen Staat
in die Bahnen des konstitutionellen Lebens hinüber.
Aber wie eigensinnig verdarb sich der Gesetzgeber sein edel gedachtes
Werk durch Künstelei und Willkür! Schien es doch fast, als wollte er
absichtlich Rechtsbedenken und Proteste hervorrufen. Weshalb wurde die
Verordnung vom Mai 1815, die doch unzweifelhaft noch zu Recht bestand
und den späteren ständischen Gesetzen keineswegs widersprach, fast mutwillig