Simon, Annehmen oder Ablehnen. Gervinus. 613
von Kurhessen, Norwegen und Belgien“ drucken. Diese drei Staaten hatten
bekanntlich dem „Zeitgeiste die ihm gebührenden Zugeständnisse gemacht“,
und da der Zeitgeist alles, die Geschichte nichts galt, so konnte hier jeder
gesinnungstüchtige Leser lernen, wie viel glücklicher der freie Kurhesse war
als der geknechtete Preuße. Auch die Flüchtlinge warfen ein Libell „das
Patent“ über die Grenze, das einfach erklärte: „Alle Hoffnungen sind
betrogen, alle Täuschungen sind zu Ende. Keine Volksgeltung ohne Volks—
herrschaft, keine Volksherrschaft ohne Republik! Recht oder — Blut!“
Bei der besonnenen Mehrheit des preußischen Volks konnte ein so
törichter, so undankbarer Radikalismus doch nicht durchdringen. Auf
einer Versammlung rheinischer Abgeordneten zu Köln wurde, wenn auch
unter mannigfachen Bedenken, endlich beschlossen den Versuch einer Ver—
ständigung zu wagen, und es zeigte sich bald, daß die Gesamtheit der
Provinzialvertreter entschlossen war, in alter Treue dem Rufe des Königs
zu folgen. Die süddeutschen Liberalen meinten ebenfalls, mit dem starren
Verneinen sei nichts getan. Welcker sogar, der alte grimmige Feind
Preußens, gelangte in einer unförmlichen, mit allen Schlagwörtern des
verendenden Vernunftsrechts ausgeschmückten Abhandlung „Grundgesetz
und Grundvertrag“ doch zu dem Schlusse, das preußische Volk müsse diese
große Gelegenheit mit Freuden benutzen: „gründet die ganze Freiheit, wie
auch die anderen freien Völker sie haben.“ Auch Gervinus fühlte sich
wieder verpflichtet mitzureden, obgleich er von preußischen Dingen noch
weniger als Welcker verstand. Ihm fehlte sogar, was der ehrlich polternde
Welcker doch einigermaßen besaß, die erste Tugend des Publizisten: die
Freiheit des Gemüts, die Sicherheit des fest dem Ziele zugewandten
Willens. Schwelgend im Genusse seiner eigenen Vollkommenheit redete er
immer nur über Dinge hin und sagte nicht, was er eigentlich wollte.
In seinem übellaunigen Büchlein „das Patent vom 3. Februar“ über—
schüttete er Preußen mit einem solchen Gallenergusse, daß sein unschuldiger
Freund Jakob Grimm ganz erschrocken antwortete: wenn das alles wahr
wäre, wenn bei uns wirklich nur Lug und Trug herrschten, dann müßte
ich „um jeden Preis aus einem solchen Lande weichen“! Im Grunde lief
der ganze Tadel darauf hinaus, daß Preußen unglücklicherweise Preußen
war und nicht Hessen-Darmstadt oder Sachsen-Meiningen; und dabei
glaubte Gervinus doch Preußens treuester Freund zu sein. So viel ließ
sich aus der Masse der Scheltworte immerhin erraten, daß der Ge—
strenge nicht geradezu das kahle Ablehnen empfehlen wollte; aber was
er tun konnte, um die Aussöhnung der Parteien zu hintertreiben, das
tat er durch sein Zanken redlich. Neben diesen vielgelesenen Schriften
wurde der alte Restaurator Haller kaum beachtet, als er in einer Flug—
schrift tief besorgt die Krone vor allzu freigebigen Gewährungen warnte.
Also war die Partei der unbedingten Verneinung vorläufig über—
wunden, doch wirkliche Eintracht mit nichten hergestellt. Diese Regierung