Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Charakter des Vereinigten Landtags. 617 
Männern. Metternich selbst war erstaunt über die „parlamentarische Ge- 
diegenheit“ dieser jungen Versammlung; man wußte im Auslande nicht, 
daß die meisten der Abgeordneten keine Neulinge waren, sondern schon 
seit Jahren in der bescheidenen Schule der Provinziallandtage die Kunst 
der Rede und der parlamentarischen Taktik gelernt hatten und jetzt die 
Fülle der dort gesammelten Erfahrungen zur gemeinsamen Arbeit herbei- 
trugen. Noch überwog die schöne Beredsamkeit des Herzens, wie es in 
einer Zeit der Erwartung nicht anders sein konnte; aber auch die Leiden- 
schaft hielt sich fast immer in den Schranken der guten Sitte, und nie- 
mals wieder hat Preußen ein so würdevolles Parlament gesehen. Von 
dem Monarchen sprachen alle mit tiefer Ehrfurcht, manche mit über- 
schwenglicher Bewunderung, ein Redner der Opposition nannte Fried- 
rich II. den größten König, welcher Preußen vor dem Jahre 1847 be- 
herrscht hätte; bei Hofe galt der Name Friedrich der Große fast für un- 
schicklich, die neue Zeit friedlicher Weisheit sollte ja alle Kriegstaten der 
heldenhaften Altvordern verdunkeln. 
Von vornherein zeigten die Männer der Oppositionsparteien das Ge- 
fühl entschiedener Überlegenheit; sie trugen in sich das Bewußtsein einer 
großen Bestimmung, sie hofften den preußischen Staat durch die Aus- 
bildung der ständischen Institutionen mit dem übrigen Deutschland zu be- 
freunden und ihm also die Führung der Nation zu sichern. In den Sälen 
des Russischen und des Französischen Hofes, wo die Opposition, noch ganz 
ohne Fraktionszwang, ihre freien Vorbesprechungen zu halten pflegte, 
fanden sich auch manche Liberale von auswärts ein: Jacoby aus Königs- 
berg, Graf Reichenbach, H. Simon und Stein aus Schlesien, Biedermann 
aus Leipzig, Beseler und andere Schleswigholsteiner. Sie alle erwarteten 
von Preußens erstem Reichstage eine Wendung der deutschen Geschicke, 
auch der junge Julian Schmidt wurde durch die Bewegung dieser Tage 
von der Literatur zur Politik hinübergeführt. Zu den Sitzungen des 
Landtags selbst ließ der König keine Hörer zu, aber die Verhandlungen 
wurden vollständig gedruckt, jetzt endlich mit Nennung der Redner, und 
obgleich die noch unbeholfenen Stenographen ihren Bericht meistens erst 
nach acht Tagen fertig stellten, so folgten doch alle Gebildeten dem parla- 
mentarischen Kampfe mit reger Teilnahme. Die Kölnische Zeitung ließ 
sich ihre Berliner Zeitungspakete von Minden an durch eigene Stafetten 
zusenden, nur um den Rheinländern den Landtagsbericht einen Tag vor 
den anderen Blättern darzubieten. 
Neben der Zuversicht der Opposition erschien die Haltung der Re- 
gierung von Haus aus schwächlich und unsicher; die Minister befolgten 
getreulich die Befehle ihres königlichen Herrn, obgleich kein einziger unter 
ihnen mit den wunderlichen Plänen des Monarchen ganz einverstanden 
war. Und so fühlten sich auch die konservativen Abgeordneten, die im 
Englischen Hofe zusammenkamen, beim besten Willen die Krone zu unter-
	        
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