Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

620 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
meinsamen Kampfe gegen die Untreue, die bösen Gelüste der Zeit, legte 
er das Bekenntnis ab: „Ich und mein Haus wir wollen dem Herrn dienen. 
Ja wahrhaftig!“ Für die Zukunft erhielten die Stände nur die väter— 
lich mahnende Zusage, daß der König sie zur Bewilligung neuer Steuern 
und Anleihen wieder berufen werde, und auch sonst noch, „wenn ich es 
für gut und nützlich halte, und ich werde es gern und öfter tun, wenn 
dieser Landtag mir den Beweis gibt, daß ich es könne, ohne höhere Re— 
gentenpflichten zu verletzen.“ 
Die Thronrede erschreckte und verwirrte die Hörer. Wohl empfand 
jedermann die Macht einer ungewöhnlichen Persönlichkeit; der politische 
Inhalt der hochtönenden, vielfach unklaren Sätze lief jedoch darauf hin- 
aus, daß der König seine deutschrechtlichen Stände vor jeder Annäherung 
an das konstitutionelle Kammerwesen der kleinen Nachbarstaaten streng 
bewahren und die Ausbildung dieser ganz eigenartigen Institutionen allein 
seiner eigenen Weisheit und Gnade vorbehalten wollte. Die Liberalen, 
die in dem Patente nur die Grundlage für weitere Verhandlungen sahen, 
fühlten sich tief niedergeschlagen. Manche der heißblütigen Ostpreußen 
wollten sofort abreisen, da doch keine Verständigung möglich sei, und nur 
durch das Zureden ihrer weltklugen rheinischen Freunde ließen sie sich 
zum Bleiben bewegen. Beim Beginn der ersten Sitzung erhob sich nun 
Graf Schwerin, ein Pommer aus dem altberühmten Soldatengeschlechte, 
eine breite, gedrungene Gestalt von ungezwungener Haltung, mit einem 
kräftigen biederen Gesichte, das durch die herabhängenden dunklen Haare 
den Ausdruck eines fast pietistischen Ernstes erhielt; er hatte sich als 
Schleiermachers Schwiegersohn mit Arndt und anderen patriotischen Ge- 
lehrten befreundet und schon auf der Generalsynode die Ideen eines milden 
kirchlichen Liberalismus freimütig vertreten. Er stellte den Antrag, die 
Stände sollten dem Monarchen in einer Adresse ihren Dank, aber auch 
ihre Rechtsbedenken aussprechen. Den Adreßentwurf verfaßte der gefeierte 
Redner des rheinischen Provinziallandtags, F. v. Beckerath aus Krefeld. 
Seine Wiege hatte, wie er gern erzählte, neben dem Webstuhle seines 
Vaters gestanden; ganz durch eigene Kraft war er zum reichen Kaufherrn 
geworden. Mennonit und nicht ohne einen Zug quäkerischer Salbung, 
der ihm trotz der politischen Meinungsverschiedenheit doch immer das 
Wohlwollen des frommen Königs sicherte, trug er seine gemäßigt liberalen 
Ansichten mit einem eigentümlichen lyrischen Pathos vor. Die Begeiste- 
rung stand ihm wohl an, sie kam aus tiefer Brust und verirrte sich nie 
gänzlich in Phrasen. „Hier, rief er aus, sei der Pulsschlag eines neuen 
verjüngten Preußens, eines Preußens, das umgeben von den Sympathien 
der deutschen Brüderstaaten, das deutsche Volk zu der Stelle hinan führen 
wird, die ihm unter den Kulturvölkern der Erde gebührt.“ 
Mit Besorgnis sah Graf Arnim, wie die rechtliche Unklarheit, deren 
Gefahren er selbst dem Könige so oft vorgestellt hatte, jetzt schon ihre
	        
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