Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Schwerin. Beckerath. Hansemann. Vincke. 621 
schlimmen Früchte trug. Beckeraths Adresse enthielt sehr ernste Rechts— 
verwahrungen. Wenn der König sie zurückwies, dann ging der Landtag, 
noch ehe er recht begonnen hatte, schon zu Ende; denn diese Versammlung 
war unauflösbar — das hatte der Prinz von Preußen seinem Bruder 
vorher gesagt, und alle fühlten bereits, wie wahr er gesprochen. Kam es 
zum Bruche zwischen der Krone und den Ständen, so fiel das Patent 
selbst, und der Staat trieb vielleicht gewaltsamen Erschütterungen ent— 
gegen. Darum hielt sich Arnim verpflichtet, ritterlich für die vergeblich 
gewarnte Krone einzutreten. Er brachte einen Gegenentwurf ein, der die 
Rechtsbedenken nur leise und schüchtern andeutete. In der langen Ver- 
handlung, die sich nunmehr entspann, traten schon die beiden Redner 
auf, welche die Regierung fortan als ihre gefährlichsten Feinde fürchtete: 
der bürgerlich Liberale Hansemann und Vincke der liberale Aristokrat. 
Hansemann hatte seine große geschäftliche Begabung neuerdings wieder in 
mannigfachen Eisenbahn-Unternehmungen bewährt; sein Ziel war die 
konstitutionelle Herrschaft der wohlhabenden Bourgeoisie, wie in Belgien. 
In ihm verkörperte sich die echt moderne kaufmännische Staatsansicht, die 
alle politischen Begriffe auf den Kopf stellte und eben deshalb in einer 
Zeit wachsenden Erwerbes und Genusses unaufhaltsam um sich griff: er 
betrachtete Heer und Beamtentum als lästige Kostgänger der Kaufleute und 
Fabrikanten, während doch Handel und Wandel, Geld und Tausch ohne 
den Staat, sein Recht und seine Waffen gar nicht auf der Welt wären 
und man also mit gleich guten Gründen behaupten konnte, daß die reichen 
Börsenmänner zum Teil durch die Arbeit der schlecht bezahlten Staats- 
diener ernährt würden. Im Landtage redete er sehr scharf, oft mit ple- 
bejischer Plumpheit, er stellte den Ständen kurzab die Wahl: „ob das 
Gefühl des Rechts in Ihnen lebt oder ob Sie nur von Vertrauen, von 
Gnade leben wollen.“ 
Ungleich mächtiger sprach Vincke, ein wohlbeleibter, stiernackiger junger 
Mann, dessen nachlässige Haltung und Kleidung doch den Edelmann nicht 
verkennen ließen; sein schwerer, von dichtem rotem Backenbart umrahmter 
Kopf zeigte eine imposante Häßlichkeit, wie sie so oft schon bedeutenden 
Rednern als Schild und Waffe gedient hat. Er war der größte aller 
Parlamentsredner der preußischen Geschichte, ganz unvergleichlich in der 
Kunst rascher, schlagfertiger Debatte, und dennoch kein schöpferischer staats- 
männischer Geist, ja nicht einmal ein gewandter Parteiführer. Im Kampfe, 
im Angriff allein lag seine Kraft. Wie ward ihm wohl, wenn er einen 
Redner der Gegenpartei lange mit den spöttischen Blicken seiner scharf 
hinter der Brille hervorlugenden Augen, mit höhnischen Gebärden und 
Zwischenrufen verfolgt hatte und dann aufsprang, beide Hände in den 
Hosentaschen, um den Unglücklichen mit scharfer Dialektik, mit grausamen 
Witzen und, tat es not, mit stürmischer Entrüstung zu zermalmen. Dem 
Könige blieb er stets verhaßt; denn Friedrich Wilhelm nahm alles per-
	        
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