Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

628 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
lesen und auf den Hoffesten gab er den Mitgliedern der Opposition sehr 
deutlich seine Ungnade zu erkennen. Er wünschte nur noch raschen Ab— 
schluß der Beratungen, aber die Ehre einer persönlichen Ansprache wollte 
er den Undankbaren nicht mehr gönnen. — 
Noch viele andere hochwichtige Verhandlungen drängten sich in diesen 
elf kurzen Landtags-Wochen zusammen. Wenn der König gehofft hatte, 
bei seinen Lebzeiten würden die Stände ihr Steuerbewilligungsrecht nie— 
mals ausüben, so erwies sich diese Erwartung jetzt schon als irrig. Eine 
Erhöhung der Steuern war allerdings nicht nötig, wohl aber schien eine 
Veränderung des Steuersystems wünschenswert, und auch sie bedurfte 
jetzt der ständischen Zustimmung. Die Mahl= und Schlachtsteuer, die in 
den größeren Städten als Ersatz für die Klassensteuer diente, wurde in 
der Presse als eine Bedrückung der Armen schon von langeher heftig an- 
gefeindet; man verlangte statt ihrer die Besteuerung des Einkommens der 
höheren Stände, und dieser alte Lieblingsgedanke des rheinischen Liberalis= 
mus gewann neue Kraft, seit die Lehren der Sozialisten sich zu verbreiten 
begannen. Allerdings waren die übelstände, welche die Mahl= und 
Schlachtsteuer bewirkte, im ganzen Lande bekannt; die Belästigung des 
kleinen Verkehrs an den Stadttoren forderte den Unterschleif geradezu 
heraus, in manchen Städten kam jährlich schon auf 300, in einzelnen gar 
auf 200 Einwohner ein entdeckter Übertretungsfall. Gleichwohl hatte 
sich auch hier wieder die alte Erfahrung bewährt, daß eine theoretisch sehr 
anfechtbare Abgabe, wenn sie lange besteht und die Abwälzung sich voll- 
zogen hat, im praktischen Leben ohne sonderliche Beschwerde ertragen 
wird. Die kleinen Leute litten unter dieser verrufenen Steuer wenig oder 
gar nicht; vielmehr drängten sich die Arbeiter massenhaft gerade in die 
mahl= und schlachtsteuerpflichtigen Städte, weil ihnen die Steuer durch 
den höheren Arbeitslohn reichlich ersetzt wurde. Und war es denn so sicher, 
daß die Preise von Brot und Fleisch nach Aufhebung der Steuer be- 
trächtlich sinken mußten? Unbeschränkter Wettbewerb bestand wohl im 
großen Verkehr, doch nicht im Kleinhandel mit Lebensmitteln, welche der 
Regel nach in der Nachbarschaft der Kunden hergestellt wurden; fiel die 
Steuer hinweg, so war es für die geringe Zahl der städtischen Bäcker und 
Metzger offenbar vorteilhaft, wenn sie einander nicht gegenseitig unter- 
boten, sondern gemeinsam die Preise auf der alten Höhe zu halten suchten. 
Die Frage war sehr schwierig. Der erfahrene General-Steuerdirektor 
Kühne konnte sich von der unbedingten Notwendigkeit der Reform durch- 
aus nicht überzeugen. Aus politischen Gründen hielt er jedoch für ratsam, 
daß die Regierung aufregenden Anträgen der Stände selbst zuvorkäme 
durch einen Vorschlag, der als ein Zugeständnis an die liberale öffentliche 
Meinung freundlicher Aufnahme sicher war und, wenn er doch scheiterte, 
die bestehende Ordnung des Staatshaushalts nicht gefährden konnte. ) 
*) So gesteht Kühne in seinen Denkwürdigkeiten. 
 
	        
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