Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Beratung über das Judengesetz. 631 
trauens, an die Gerechtigkeit eines jüdischen Richters aber wollten die 
Bauern schlechterdings nicht glauben. 
In den höheren Ständen dagegen war die Meinung neuerdings stark 
umgeschlagen. Vor zwanzig Jahren noch hatten nicht bloß die christlich— 
germanischen Burschenschafter und die konservativen preußischen Provin— 
zialstände, sondern auch die süddeutschen Liberalen die Gleichberechtigung 
der Juden entschieden bekämpft. Noch nach der Juli-Revolution (1831) 
veröffentlichte Paulus, das Haupt der liberalen Rationalisten, eine sehr 
scharfe Schrift gegen die „jüdische National-Absonderung“. Auch Rotteck, 
Welcker und ihre Freunde in der badischen Kammer verwarfen damals noch 
die völlige Gleichstellung — manche wohl nur, weil sie sich vor der entschie— 
denen Abneigung ihrer Wähler fürchteten. Aber nach und nach drang 
die abstrakte französische Lehre von dem gleichen Staatsbürgertum aller 
Einwohner auch in Deutschland vor; die jüdischen Zeitungsschreiber ver— 
breiteten sie geschäftig und wußten das klug ersonnene neue Schlagwort 
„Juden-Emanzipation“ geschickt zu verwerten, obgleich mindestens in den 
alten preußischen Provinzen eine Sklaverei der Israeliten nicht bestand. 
Kurhessen war das erste deutsche Land, das den Juden (1833) die un— 
bedingte Gleichberechtigung gewährte; der mit Amschel Rothschild so nahe 
befreundete Prinzregent wagte den Anträgen des liberalen Landtags nicht 
zu widersprechen. Dieser erste Versuch bewährte sich sehr schlecht. Gerade 
hier kam an den Tag, daß die Sünden des Wuchers und des Truges 
durchaus nicht bloß Folgen der Unfreiheit, sondern tief eingewurzelte, 
so leicht nicht zu überwindende jüdische Nationallaster waren; gerade 
hier, wo die Juden nach Belieben jeden Beruf ergreifen konnten, zeigten 
sie sich als grausame Blutsauger des armen Landvolks, und so wurde 
diese Wiege der deutschen Judenbefreiung sehr bald zur Heimstätte eines 
ganz fanatischen Judenhasses. Trotzdem hielt der Luftzug aus dem Westen 
an, das französische Recht wurde in weiten Kreisen als die geschriebene 
Vernunft angesehen; der reiche Breslauer Fabrikherr Milde, ein in Frank— 
reich und England gebildeter ehrlicher Vorkämpfer des neuen liberalen 
Bürgertums, verlangte im Vereinigten Landtage schon kurzweg, man solle 
nur einfach die napoleonischen Gesetzbücher mit geringen Änderungen in 
dem gesamten preußischen Staate einführen. 
Auch die Kirchenfeindschaft der radikalen Dichter und Philosophen 
kam den Wünschen der Juden entgegen. Geringschätzung aller religiösen 
Gefühle galt schon für das Kennzeichen starker Geister, und der ungeheuer- 
lichen Behauptung, daß der Protestantismus dem Judentum näher stehe 
als der katholischen Kirche, stimmten viele der liberalen Protestanten zu, 
welche das Wesen ihres Glaubens nur im Kampfe gegen Rom suchten. 
Argen Mißbrauch trieben die Verteidiger der Juden-Emanzipation mit dem 
großen Namen Lessings. Das herrliche Märchen von den drei Ringen, 
dessen tiefsinnige Ironie sich doch leicht erkennen läßt, da ja nur einer
	        
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