650 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
die Krone nicht stützen, sondern beherrschen und mißbrauchen wollte.)
Schon waren zwei Mitglieder des verhaßten Ministeriums Abel ent-
lassen; Abel selbst mußte die Verwaltung der kirchlichen Angelegenheiten
abtreten und sagte schmerzlich: ich besitze das Vertrauen des Königs nicht
mehr. Nicht umsonst hatte der Präsident der Reichsräte, Fürst Leiningen
schon im Frühjahr den Monarchen gewarnt: beim Andauern der klerikalen
Parteiherrschaft würde die Revolution in Bayern „ein gepflügtes Feld
finden.“*) Verliefen die Dinge ruhig, so ließ sich mit Sicherheit hoffen,
daß König Ludwig binnen kurzem auch Abel entlassen und die Staats-
gewalt wieder in paritätischem Geiste handhaben würde. Der Haß gegen
das rohe Parteiregiment der Ultramontanen war sehr hoch gestiegen. Ge-
schah es doch, daß das Münchener Appellationsgericht einen wegen Duells
zum Tode verurteilten jungen Polytechniker in zweiter Instanz nur mit
kurzer Haft bestrafte und dabei ausdrücklich erklärte: größere Strenge er-
scheine unbillig, nachdem man die beiden Duellanten Minister Abel und
Wallerstein straflos gelassen hätte.
Doch mittlerweile war ein Ereignis eingetreten, das die Stimmungen
im Lande plötzlich verwandelte. Im Oktober 1846 erschien die Tänzerin
Lola Montez auf dem Münchener Theater, ein verrufenes Weib, das schon
in Ostindien, in England, in Paris, in Berlin, in Baden, überall selt-
same Abenteuer erlebt hatte. Tochter eines schottischen oder irischen Vaters
und einer kreolischen Mutter, besaß sie den Zauber nordischer und süd-
ländischer Schönheit zugleich und verdiente es wohl, daß Stieler ihr Bild
für die Schönheitsgalerie des Wittelsbachers malte. Eine Künstlerin war
sie nicht; aber wenn sie in dem leidenschaftlichen Tanze El Ole allen
Liebreiz ihrer üppigen und doch schlanken Glieder zeigte, dann widerstanden
die Männer nicht leicht dem Glutblick dieser wundersamen Augen. Frech,
schamlos, unersättlich in der Wollust, wie die Sempronia der katilinari-
schen Verschwörung, verstand sie unter Freunden auch anmutig, ja geist-
reich zu plaudern; sie tummelte sich gewandt auf feurigen Rossen, sang
seelenvoll zur Zither, trug spanische Gedichte lebendig und mit wohl-
tönender Stimme vor; ihren Feinden ging sie herzhaft zu Leibe, mit der
Reitpeitsche oder auch mit Ohrfeigen. Den schönheitsfrohen König be-
zauberte sie auf den ersten Blick vollständig; es war wirklich, so ge-
stand er später selbst, als ob sie ihm einen Minnetrank gereicht hätte.
Über ihr vergaß er die Welt, sich selber und seine königliche Würde; und
da die wittelsbachische Muse niemals schweigen konnte, so gingen in der
klatschsüchtigen Hauptstadt bald erstaunliche Dichtungen von Hand zu
Hand, so ein Vers „auf Lolita“, der einen Pentameter vorstellen sollte:
In der Spanierin sand Liebe im Leben ich nur;
so ein anderes Kunstwerk: „Der Dichter, L. M. betreffend. Das Gewölke
*) S. o. V. 323 ff.
*) Fürst Leiningen, zwei Denkschriften über die Reichsräte, April 1846.