654 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
nicht ganz übersehen. Abel jedoch, der seinen königlichen Herrn genau
kannte, mußte wissen, daß eine so unehrerbietige, fast drohende Sprache
den Selbstherrscher nur reizen konnte. Er wollte brechen und, wie Canitz
sarkastisch bemerkte, den unvermeidlichen Rückzug mit allen kriegerischen
Ehren antreten. Das Memorandum konnte ebenso wenig geheim bleiben
wie vordem Schöns Büchlein Woher und Wohin; nach wenigen Tagen
war es auch schon in jedermanns Händen, obgleich alle vier Minister
heilig ihre Unschuld beteuerten, und wirkte nunmehr verderblicher als
jemals eine demagogische Brandschrift. Auch mancher Unbefangene ließ
sich durch den Biedermannston der hochpathetischen Tugendpredigt ge-
winnen; ihre ganze Fassung war offenbar von Haus aus auf das große
Publikum berechnet. Am Münchener Hofe aber blieb den Klerikalen dieser
Beweis monarchischer Gesinnung unvergessen; keiner der wittelsbachischen
Herrscher seitdem, wie weit auch sonst ihre Neigungen auseinander gingen,
hat der ultramontanen Partei je wieder volles Vertrauen gezeigt. Am
16. Febr. wurden die Minister sämtlich entlassen; mit ihnen zugleich
mußte auch Hörmann ausscheiden, der Regierungspräsident von Ober-
bayern, der sich schon vor Jahren in der Mainzer schwarzen Kommission
und nachher wieder in München als unerbittlicher Demagogenverfolger
ausgezeichnet hatte. Erst seit Abels Memorandum gewann Lola wirkliche
politische Macht; war doch nunmehr alles bestätigt, was sie ihrem er-
lauchten Gönner über die Herrschsucht der Ultramontanen gesagt. In
ihrem törichten Übermute schrieb sie sogar an die Times: obgleich sie
selber bei dem Ministerwechsel nicht mitgewirkt hätte, so glaube sie doch,
daß der König durch gerechte Gründe dazu bestimmt worden sei! Mit
Ingrimm wendete sich Ludwig von der Partei hinweg, die ihn so lange
beherrscht hatte, und sagte in einem alsbald veröffentlichten Sonette:
Ihr, die ihr knechten mich gewollt, erzittert!
Ich preis’ es, das entscheidende Ereignis,
Das eure Macht auf ewig hat zernichtet.
Sein Zorn ward ganz unbändig, als jetzt auch die ultramontanen
Gelehrten ihm entgegentraten. Einer ihrer Heißsporne, der ehrenhafte,
tapfere, freimütige Lasaulx beantragte im Senate, die Universität möge
den Ministern, die für die Sittlichkeit eingetreten wären, Dank und An-
erkennung aussprechen, denn sie sei „die erste sittliche Korporation des
Staates“ — ein Ehrenname, der nach katholischer Anschauung sicherlich
allein der Kirche gebührte. Der Antrag war offenbar ungehörig, da die
Universität mit dem politischen Streite nichts zu schaffen hatte, auch dem
harten Bureaukraten Abel durchaus keinen Dank schuldete. Einige der Pro-
fessoren stimmten zu, andere suchten zu vermitteln; ein Beschluß war noch
nicht gefaßt, da wurden die Abstimmungen schon durch den untertänigen
Rektor Weißbrod dem Hofe mitgeteilt, und nun ließ sich der König sogar
durch Lolas Fürbitten nicht mehr halten. Sofort am 1. März wurde