Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

664 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes. 
ständen und der meuterischen Hauptstadt wieder leidlich aus. Unterdessen 
tat der Sohn das Menschenmögliche, um die Sehnsucht nach dem Vater 
wach zu halten. Die dem Lande geraubte Rotenburger Quart behielt er 
für sich,“) und nachdem der Bundestag sich für inkompetent erklärt hatte, 
fruchteten alle Klagen der Stände nichts mehr. 
Dem Landtage, der allerdings mehrmals wieder aussichtslose Minister- 
anklagen versuchte, trat Minister Scheffer mit Geringschätzung, noch höhni- 
scher fast als vordem Hassenpflug, entgegen. Er verlangte die Schlüssel 
des Ständehauses und ließ, als sie ihm verweigert wurden, die Türen 
erbrechen, die Schlösser verändern; er verjagte die neu angestellten Steno- 
graphen, obgleich die Verfassung öffentliche Beratungen verlangte; ein- 
mal löste er den Landtag mitten während einer Sitzung auf, mit den 
barschen Worten: meine Herren, Sie sind entlassen! Es war, als ob er 
Händel suchte und geflissentlich immer neue Streitfragen aufspürte. Ganz 
unerwartet stellte er die Forderung auf, daß jeder Abgeordnete der drei 
in der einen Kammer vereinigten Stände seinem Stande wirklich ange- 
hören müsse. Dies war in der Verfassung nicht vorgeschrieben und bis- 
her auch nicht befolgt worden. Doch die neue Berliner Lehre von der 
ständischen Gliederung hatte jetzt auch in Kassel ihre Gläubigen gefunden. 
Die Regierung behauptete hartnäckig, jeder Abgeordnete vertrete nur die 
Rechte seines Standes, und nach langem widerwärtigem Streit erreichte 
sie in der Tat, daß zwei Mißliebige dem Landtage fern bleiben mußten. 
Den Klerikalen war der Mitregent nicht hold; er selbst glaubte freilich 
nur an einen Gott, den Mammon, und liebte die reaktionären Pietisten, 
die sich an ihn herandrängten, sehr wenig, noch weniger aber die römische 
Kirche, die so leicht einen Staat im Staate bilden konnte. Darum hatte 
der Bischof von Fulda beständig, und meist mit Recht, über kleinliche bu- 
reaukratische Quälerei zu klagen. Am allerwenigsten jedoch wollte Friedrich 
Wilhelm von den neuen freigeisterischen Kirchen wissen. Metternich, um 
dessen Gunst er sich eifrig bemühte, weil er seiner Gemahlin den öster- 
reichischen Fürstenhut zu verschaffen hoffte, hatte ihn bei einem Besuche 
auf dem Johannisberge über die staatsgefährlichen Pläne der Deutsch- 
katholiken gründlich belehrt; und es war nur ein lächerlicher Zufall, daß 
eben jetzt die Bonner Gelehrten Sybel und Gildemeister, die das Märchen 
vom heiligen Rock so gründlich beleuchtet hatten, an die Marburger Uni- 
versität berufen wurden. Die literarischen Sünden der beiden waren ihm 
von seinen Räten sorgfältig verborgen worden.**) Der Kurprinz verfolgte 
die deutschkatholische Sekte streng, unbekümmert um die Vorstellungen 
des Landtags, verwehrte ihr durchaus Gemeinden zu bilden, obgleich sie 
im ganzen Lande kaum hundert Anhänger zählte; er ließ sogar auf dem 
  
*) S. v. IV. 623. 
1*8) Nach einer freundlichen Mitteilung von H. v. Sybel.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.