Ministerium Scheffer. Prozeß Jordan. 665
Hanauer Kirchhofe die Leiche eines unbescholtenen deutschkatholischen Bür—
gers wieder ausgraben und dann an der Mauer verscharren. Die Narren—
streiche der hessischen Zensur fanden jetzt, da man überall milder ward,
nur noch in Osterreich ihresgleichen. Über die Geschenke, welche die
Mutter des Kurprinzen der Stadt Kassel vermacht hatte, durften die längst
gezähmten Zeitungen kein Wort sagen. Ein liberaler Marburger Buch-
händler konnte von der Regierung nicht erlangen, daß sie ihm für eine
geplante statistische Zeitschrift einen Zensor gab, und mußte schließlich, zum
allgemeinen Ergötzen, eine „Klage auf Bestellung eines Zensors“ ein-
reichen, denn ohne Zensur durfte das Blatt nicht erscheinen. Besonders
aufreizend erschien der Polizei das alberne bei den jungdeutschen Radi-
kalen beliebte Zerrbild des deutschen Michels. Wo immer dies Bild sich
zeigte, in Zeitungen oder Flugschriften, da ward es unnachsichtlich kon-
fisziert, und der witzige liberale Rechtsanwalt Friedrich Oetker sah sich
genötigt, einmal im Auftrage mehrerer Buchhändler eine Beschwerdeschrift
„wegen sieben deutscher Michel“ auszuarbeiten.
Doch was wollten solche Lächerlichkeiten bedeuten neben dem furcht-
baren, das ganze Land erregenden Schicksale Silvester Jordans. Viele
Jahre lang hatten die Polizeibehörden insgeheim Stoff gesammelt, um dem
Vater der hessischen Verfassung nachzuweisen, daß er bei dem Frank-
furter Wachensturme und den anderen Verschwörungen jener längst ver-
schollenen Tage mitgewirkt hätte; als sie endlich der Beweise genug zu
haben glaubten, wurde Jordan (Aug. 1839) unter der Anklage des Hoch-
verrats auf das Marburger Bergschloß abgeführt. Da saß er nun in
langer, schwerer Haft und blickte hernieder auf die Stadt, die ihn einst
mit fürstlichen Ehren empfangen hatte. Noch einmal fiel er in eine Grube,
die er sich mit eigenen Händen gegraben. Er selber hatte einst, um ver-
fassungsfeindliche Minister sicher zu knebeln, in die Verfassung den Art.
126 hineingebracht, der bei Anklagen auf Verfassungsverletzung sowohl
die Niederschlagung wie die Begnadigung untersagte; folglich konnte das
Verfahren gegen ihn selbst, einmal begonnen, nicht mehr aufgehalten
werden. Da seine Gesundheit in dem Turme droben schwer gelitten
hatte, so erlaubte man ihm endlich, unter strenger Bewachung in der
Stadt zu leben, doch erst im Jahre 1843 erfolgte der Richterspruch, der
ihn „wegen Nichthinderung hochverräterischer Unternehmungen“ verur-
teilte. Er appellierte, und das allezeit nach oben wie nach unten furcht-
lose Oberappellationsgericht sprach ihn im Oktober 1845 gänzlich frei.
Die Belastungszeugen waren meist verdächtige Leute, und ganz un-
zweifelhaft ergab sich, daß die windigen deutschen und polnischen Dema-
gogen, die zu jener Zeit bei ihm eingekehrt waren, seinen sowie viele andere
geachtete Namen mißbraucht hatten, um neue Genossen zu werben. Von
einigen törichten Anschlägen mochte er damals wohl gehört haben; doch wie
durfte man ihn tadeln, wenn er diese hirnverbrannte Rederei keiner Be-