Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

666 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes. 
achtung wert gehalten hatte? Und welch ein Ergebnis! Sieben Jahre nach 
dem angeblichen Verbrechen ward er gefangen gesetzt; darauf sechs Jahre 
schwerer Untersuchungshaft, und dann vollständige Freisprechung. Die 
Unhaltbarkeit des alten geheimen Verfahrens wurde durch diesen Prozeß, 
eben weil keine Gewalttätigkeit, keine Verletzung des formalen Rechts 
nachzuweisen war, noch deutlicher erwiesen als einst durch Weidigs un— 
heimliches Geschick. Eine ganze Schar liberaler Schriftsteller, voran der 
unaufhaltsame Welcker, bemächtigte sich auch alsbald des Hergangs, um 
die geheime Justiz zu brandmarken. Die „Wanderungen aus meinem 
Gefängnisse“, welche Jordan in seinem Bergschlosse schrieb, redeten noch 
in dem alten burschikos liberalen Tone gegen die stehenden Heere, gegen 
die Barbarei der Todesstrafe, gegen alle Halben und Vermittler. Doch 
als der Unglückliche endlich frei kam, da war er gebrochen an Leib und 
Seele, seine weiche Natur hatte so vielem Jammer doch nicht stand ge— 
halten, er zeigte sich fortan sehr friedfertig, fast bis zum Übermaße. 
Im November 1847 starb der alte Kurfürst, und unter gesunden 
Verhältnissen hätte der Kurhut ganz ebenso unmerklich auf den Sohn 
übergehen müssen, wie in Sachsen die Königskrone auf den ehrenhaften 
Mitregenten, den Prinzen Friedrich August übergegangen war. Der Kur— 
prinz hatte ja schon vor sechzehn Jahren die Regierungsgeschäfte über— 
nommen und damals eidlich gelobt, „die Staatsverfassung des Kurstaats 
aufrechtzuhalten“. Aber nach der neuen höfischen Doktrin, die im Welfen- 
reiche so glänzend gesiegt hatte, stand es jedem Fürsten frei, sobald er die 
Regierung kraft eigenen Rechtes antrat, die Landesverfassung anzuerkennen 
oder nicht. Niemand bekannte sich zu dieser Lehre freudiger als der neue 
Kurfürst; an den Verfassungseid, den er einst als Regent geleistet, fühlte 
er sich nicht mehr gebunden, ein Gewissen kannte er so wenig wie Fal- 
staff die Ehre. Seit Jahren schon plante er, bei seiner Thronbesteigung 
das verabscheute Staatsgrundgesetz über den Haufen zu werfen; wenn er 
sich nur nicht gar so sehr gefürchtet hätte! Diese Neigungen des Sohnes 
mochte der Vater wohl kennen. Schon im Jahre 1841, als er eben anfing, 
sich mit seinem Lande auszusöhnen, hinterlegte der Alte bei einem Frank- 
furter Anwalt ein testamentarisches Schreiben an seine Landstände, das 
„den Unwürdigen“ Verzeihung zusagte für „die Ausbrüche roher Leiden- 
schaft“ und zugleich den Landtag ermahnte, „den Geist des Widerspruchs, 
mit der Bezeichnung Opposition beschönigt, zu verbannen . und so 
die Aufrechthaltung der von Uns gegebenen Verfassung zu sichern.“ 
Der Wink war deutlich, und die Stände beeilten sich, den nachgelas- 
senen Brief, sobald er ihnen kund geworden, dem Nachfolger nebst einer 
Beileids-Adresse zu überreichen. Sie wurden jedoch nicht vorgelassen. Der 
neue Herr schwankte noch. Er forderte soeben von seinen Truppen einen 
neuen Fahneneid, für seine Person allein; da zeigte sich's, wie schwer die 
unsinnige liberale Erfindung des zweifachen Eides die Gewissen ehrenhafter
	        
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