Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

688 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes. 
jetzt schon überall als Volkswunsch galt, ernstlich erwogen, und sobald man 
den Dingen näher trat, drängte sich auch schon gebieterisch die Frage der 
Zukunft hervor, die Frage: Preußen oder Osterreich? Mathy erwies mit 
seinem überlegenen Verstande: ein Reichstag ohne eine wirkliche Staats— 
gewalt sei ein Unding, ja er würde neben dem Bundestage die deutsche 
Anarchie nur vollenden; der Zollverein hingegen besitze schon eine gemein- 
same Verwaltung, eine leidliche Organisation, also müsse den Zollkon- 
ferenzen ein Zollparlament beigeordnet werden, das ernsthafte nationale 
Geschäfte ernsthaft beriete, ohne in leeren Phrasen unterzugehen. Es 
war ein befreiendes Wort. Verfolgte man diesen Weg weiter, so gelangte 
man unfehlbar zu der Erkenntnis, daß die deutsche Einheit nur unter 
Preußens Führung und mit Ausschluß Österreichs möglich war. Gagern 
stimmte dem Badener zu, desgleichen Hansemann, der schon den Rheini- 
schen Provinzialständen und dem Vereinigten Landtage die Berufung eines 
Zollparlaments empfohlen hatte, und man trennte sich in Eintracht. Als 
die Tagenden heimkehrten, da bemerkten sie freilich bald, daß der nüch- 
terne Gedanke des Zollparlaments den leidenschaftlich erregten, nach einem 
unbestimmten Glücke verlangenden Gemütern der Patrioten nicht genügte. 
Das deutsche Parlament blieb das einzige Schlagwort der Einheitspartei, 
das die Massen begeistern konnte. Darum stellte Bassermann im Karls- 
ruher Landtage seinen Antrag auf Berufung einer gesamtdeutschen Volks- 
vertretung, obgleich der einsichtige Mann wohl wußte, wie wenig dieser 
nebelhafte Vorschlag den Kern der Sache traf. 
Schon vorher, im Juli 1847, war ein Unternehmen begonnen worden, 
das den gemäßigten Liberalen für die nationale Politik die geistige Führung 
sichern sollte. Der Plan einer großen, für die gesamte Nation bestimmten 
Zeitung beschäftigte den König von Preußen seit seiner Thronbesteigung 
und wurde auch jetzt noch durch Professor Lohbauer wieder aufgenommen, 
doch er konnte unmöglich gelingen; denn wo ließen sich die Publizisten 
finden, die, wie Friedrich Wilhelm wünschte, zugleich ganz freimütig 
und ganz im Geiste des Berliner Hofes schrieben? Diesen alten Lieb- 
lingsgedanken rissen die badischen Liberalen dem Könige aus den Händen, 
sie beschlossen auf einer Durlacher Versammlung (1846) die Gründung 
einer großen „Deutschen Zeitung“. Bassermanns Buchhandlung in Mann- 
heim übernahm den Verlag, Gervinus die Leitung, und seinem unermüd- 
lichen Eifer gelang es bald, nicht nur beträchtliche, nach deutschen Ver- 
hältnissen ganz unerhörte Geldzeichnungen zu erlangen, sondern auch fast 
alle guten Namen des gemäßigten Liberalismus im Süden und Westen 
für die Mitarbeit anzuwerben. Nur Dahlmann hegte von Haus aus 
Bedenken; er blieb dabei, „daß auf preußischem Boden erscheinen muß, 
was in Preußen Wurzeln fassen soll,“ während Gervinus in seinem klein- 
staatlichen Dünkel glaubte, der Süden solle seinen konstitutionellen Geist 
von außen her in Preußen einpflanzen und, den Preußen nur die Aus-
	        
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