Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Deutsche Zeitung. 689 
führung überlassend, in der deutschen Politik stets vorangehen. Von den 
Radikalen schon im voraus als Professorenblatt verhöhnt, brachte die 
Deutsche Zeitung eine überraschende Fülle von ernsten, wohldurchdachten 
Leitartikeln; selbst ihre Korrespondenzen glichen oft mehr doktrinären Ab— 
handlungen als tatsächlichen Berichten, obgleich die Redaktion klagte: 
unsere Korrespondenz ist noch nicht überall ganz im Systeme. Von un— 
zähligen Staatsmännern, Abgeordneten, Gelehrten liefen treffliche Bei— 
träge ein. Unter den ersten Mitarbeitern bewährte sich namentlich Mathy 
als rühriges journalistisches Talent, neben ihm der Heidelberger Historiker 
Ludwig Häusser, ein junger Elsasser, in dem sich alle schönen Charakter— 
züge des süddeutschen Volkstums vereinigten: gesunder Menschenverstand, 
fröhliche Tatkraft, warme Begeisterung und eine selbst die Gegner zu— 
weilen gewinnende Liebenswürdigkeit. Nachher sind noch viele andere 
tüchtige Publizisten durch die Deutsche Zeitung für das journalistische 
Handwerk erzogen worden: Kruse, Aegidi, Heller, Marggraff. 
Die Deutsche Zeitung wirkte — so erfolgreich, wie späterhin nur 
noch die Kreuzzeitung — für die Durchbildung einer ganz bestimmten 
Parteigesinnung, aber freilich nur in einem engen Kreise. Fast alle die 
wackeren Gelehrten, welche nachher im Frankfurter Parlamente den Aus- 
schlag gaben, die Anhänger der konstitutionellen Monarchie und der preu- 
ßischen Hegemonie, verdankten den Artikeln dieses Blattes einen Teil ihrer 
politischen Bildung. Allein in die Masse der Lesewelt drang die Deutsche 
Zeitung niemals ein. Sie schwebte von vorn herein in der Luft, da 
sie weder einen landschaftlichen Boden unter den Füßen hatte noch die 
Klasseninteressen eines mächtigen Standes vertrat; der Ton ihrer Aufsätze 
war gewöhnlichen Lesern zu hoch, und den wirksamen Wucher mit auf- 
regenden Neuigkeiten verschmähte sie stolz. Das Schlimmste blieb doch, 
daß sie in Preußen selbst so wenig Mitarbeiter und Leser fand; sogar 
der alte Schön schrieb gar nichts, obgleich er seinen gefeierten Namen unter 
die Ankündigung des Blattes gesetzt hatte. Zu dem Heidelberger leiten- 
den Ausschuß gehörte auch Geh. Rat Fallenstein, ein alter Lützower Jäger, 
der nach einer entbehrungsreichen Jugend im preußischen Staatsdienste 
emporgestiegen und kürzlich unmutig ausgeschieden war, weil er sich mit 
Kühnes diktatorischem Wesen nicht vertragen konnte — einer jener seltenen 
Männer, welche mehr durch die Macht einer ursprünglichen Per- 
sönlichkeit als durch ihre Taten wirken, ein urkräftiger Teutone, fest, 
freimütig, bedürfnislos wie alle die Recken der Blücherschen Tage. Er 
blieb seinem Gervinus in treuer Freundschaft zugetan, und doch ward 
dem tapferen Preußen oft schwül zu Mute, wenn die Deutsche Zeitung 
das theoretisch geliebte Preußen Tag für Tag praktisch mißhandelte und 
ihm immer von außen her, meist ohne jede Sachkenntnis, Lehren der 
Weisheit und Tugend gab. Gervinus selbst entschuldigte sich cinmal: 
unser wärmerer Tadel gegen Preußen ist nur ein Zeichen unserer wärmeren 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 4
	        
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