690 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
Liebe; aber Liebe zu erweisen, verstand der ewig Ungnädige wenig. Auf
die Dauer ging es nicht an, also außerhalb Preußens preußische Politik
zu predigen, und es war doch nur menschlich, daß König Friedrich Wil-
helm, der ohnehin den liberalen Ideen so fern stand, die allezeit tadelnden
„Mannheimer und Heppenheimer“ als seine geschworenen Feinde be-
trachtete. Preußen ist ein ganz deutscher Staat geworden — in diesem be-
ständig wiederholten Satze lag das bleibende Verdienst der Deutschen Zei-
tung, jedoch außerhalb der Gelehrtenwelt fand die neue Erkenntnis vor-
erst nur wenig Anklang.
Die Nichtigkeit des Bundestags erschien so hoffnungslos, daß selbst
Blittersdorff jetzt auf Reformgedanken geriet. Reiner Partikularist war er
ja nie gewesen, er wünschte eine starke Bundespolitik. In seinem unge-
duldigen Ehrgeiz unternahm er einmal sogar mit dem Grafen Dönhoff
anzuknüpfen und gab ihm zu verstehen, bei der vollendeten Gleichgültigkeit
OÖsterreichs bleibe nichts mehr übrig als der Anschluß der kleinen Staaten
an Preußen. Diese Schwenkung des alten Gegners war doch zu ver-
dächtig; selbst der allezeit arglose König warnte seinen Gesandten: „das
kann eine Falle sein, deren H. v. B. wohl fähig ist.“) Also von Preußen
abgewiesen, wandte sich Blittersdorff wieder dem geliebten Osterreich zu
und bestürmte seit dem Herbst 1847 den Grafen Münch mit einer langen
Reihe von Denkschriften, die allesamt unfreiwillig und eben deshalb un-
widerleglich erwiesen, daß die Hofburg ihre Herrschaft in Deutschland
nur noch durch Betrug und Rechtsverdrehung zu erweitern vermochte. Mit
dürren Worten gestand Blittersdorff ein, Österreich könne weder „ein
nationales Deutschland mit zentraler Aktion“ dulden, noch selber in den
Zollverein eintreten; folglich, so schloß er, müsse der Wiener Hof, mit
gewandter Benutzung des nichtssagenden Art. 64 der Wiener Schlußakte,
alle die zwischen den Bundesstaaten abgeschlossenen Sonderverträge über
Zoll-, Münz-, Postwesen usw. „unter den Schutz des Bundestags“ stellen
und dergestalt „die politische Leitung“ aller gemeinnützigen deutschen Be-
strebungen, insbesondere des Zollvereins selber in die Hand nehmen. Welch
ein naives Geständnis! Von den Pflichten des deutschen Zollverbandes
sollte dic Hofburg frei bleiben, aber das Recht der Herrschaft gebührte
ihr, damit nur ja niemals ,ein nationales Deutschland“ entstände! An-
schaulicher ließ sich der Löwenvertrag, der zwischen Österreich und Deutsch-
land bestand, nicht schildern. Zum Glück blieb das alles verlorene Ar-
beit. Zu irgend einem kräftigen Entschlusse konnten sich weder Metternich
selbst noch seine ebenso altersmüden Genossen aufraffen. Als du Thil
dem Grafen Münch Bundesreformen oder mindestens strengere Hand-
habung der bestehenden Bundesgesetze empfahl, da erwiderte der Öster-
reicher: „Warum soll ich mich, nachdem ich mich so lange abgeplagt habe,
*) Dönhoffs Bericht, 8. April 1845 mit Randbemerkung.