Prinz Alberts Denkschrift. Preußens Absichten. 693
Deutschland nicht bekannt wurde. Aber auch der getreue Stockmar, der
zur Zeit in Koburg weilte, war unzufrieden; sein deutscher Stolz, den er
trotz seiner seltsamen internationalen Stellung doch nie verleugnete, lehnte
sich wider die Zudringlichkeit des Prinz-Gemahls auf, und er schrieb
freimütig: wer sich so lange dem Vaterlande entfremdet hätte, der verliere
das Recht mitzuraten. Dann redete er dem geliebten Zögling, dessen
starren Dynastendünkel er wohl kannte, kräftig ins Gewissen: die deut—
schen Fürstenhäuser bedürften heute vor allem ernster Selbsterkenntnis,
denn sie hätten durch Verrat und Ungehorsam das alte Reich zerstört,
das Vaterland zerrissen; sie würden von einem großen Teile der Nation
als Feinde der deutschen Einheit gehaßt, sie müßten endlich einsehen, daß
die anti-dynastische Gesinnung sich in immer weiteren Kreisen verbreite.
Goldene Worte. Doch der Prinz ließ sich nicht beirren; er sendete seine
und seines Schwagers Denkschriften durch Bunsens Vermittlung dem
Berliner Hofe.
Da ergab sich denn alsbald, daß der allein rettende Ruf: los von
Österreich, daß die Rückkehr zur friderizianischen Politik von niemand
tiefer verabscheut wurde als von König Friedrich Wilhelm selbst. Durch
Leiningens Vorschläge wurde er, wie er an Bunsen schrieb, „fast empört.
Der Schwager will Osterreich aus dem Bunde sachte entfernen, einen
Bund im Bunde gegen den Bund (also Treubruchl), und dieser Wirt-
schaft soll ich guasi gezwungen werden mich anzunehmen und den Wün-
schen dieser Esel von Liberalen vorauseilend, das Banner des Fortschrittes
erheben.“ Dies blieb seine heilige Überzeugung, und sie sollte für den
Verlauf der deutschen Revolution verhängnisvoll werden. Durchaus nur
als der Zweite, als kaiserlicher Feldhauptmann und Erzkämmerer wollte
er in dem kaiserlosen Deutschen Bunde auftreten; was der große König
einst darüber hinaus geplant hatte, war dem Nachkommen eitel Ver-
rat; „ich will Österreich den Steigbügel halten,“ sagte er oft. Besser
gefielen dem Könige die friedfertigen und unbestimmten Gedanken des
Prinz-Gemahls, obgleich er eine scharfe Bemerkung über das Sitzen am
Tische fern von Deutschland nicht unterdrücken konnte. Nur gegen zwei
Vorschläge verwahrte er sich ernstlich. Auch er wollte die deutsche Freiheit,
doch nimmermehr im Sinne der Liberalen. „Eine einzige wunderbare Kunst
versteht der vulgäre Liberalismus à la Hansemann und Konsorten, die
nämlich, ein Volk dumm und böse zu machen. Darin hat er, wie über-
haupt in so vielem, von den Jesuiten gelernt und übertrifft sie bei weitem.
Der Liberalismus, der namentlich jetzt Deutschland verstänkert, ist eine
Gattungs-Religion, eine Durchgangs-Religion, die sich auf das Christen-
tum aufsetzt, wie man einst Ludwig XVI. die Galeerensklaven-Mütze auf-
setzte, um seine Salbung zu verwischen; und sie ist ein Aberglaube ver-
öchtlichster Art, da sie eine Volkswillens-Anbetung als ihr Wesen predigt,
ein Götzendienst hundertmal ärger als der des Baal und der Astarte, denn