Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Prinz Alberts Denkschrift. Preußens Absichten. 693 
Deutschland nicht bekannt wurde. Aber auch der getreue Stockmar, der 
zur Zeit in Koburg weilte, war unzufrieden; sein deutscher Stolz, den er 
trotz seiner seltsamen internationalen Stellung doch nie verleugnete, lehnte 
sich wider die Zudringlichkeit des Prinz-Gemahls auf, und er schrieb 
freimütig: wer sich so lange dem Vaterlande entfremdet hätte, der verliere 
das Recht mitzuraten. Dann redete er dem geliebten Zögling, dessen 
starren Dynastendünkel er wohl kannte, kräftig ins Gewissen: die deut— 
schen Fürstenhäuser bedürften heute vor allem ernster Selbsterkenntnis, 
denn sie hätten durch Verrat und Ungehorsam das alte Reich zerstört, 
das Vaterland zerrissen; sie würden von einem großen Teile der Nation 
als Feinde der deutschen Einheit gehaßt, sie müßten endlich einsehen, daß 
die anti-dynastische Gesinnung sich in immer weiteren Kreisen verbreite. 
Goldene Worte. Doch der Prinz ließ sich nicht beirren; er sendete seine 
und seines Schwagers Denkschriften durch Bunsens Vermittlung dem 
Berliner Hofe. 
Da ergab sich denn alsbald, daß der allein rettende Ruf: los von 
Österreich, daß die Rückkehr zur friderizianischen Politik von niemand 
tiefer verabscheut wurde als von König Friedrich Wilhelm selbst. Durch 
Leiningens Vorschläge wurde er, wie er an Bunsen schrieb, „fast empört. 
Der Schwager will Osterreich aus dem Bunde sachte entfernen, einen 
Bund im Bunde gegen den Bund (also Treubruchl), und dieser Wirt- 
schaft soll ich guasi gezwungen werden mich anzunehmen und den Wün- 
schen dieser Esel von Liberalen vorauseilend, das Banner des Fortschrittes 
erheben.“ Dies blieb seine heilige Überzeugung, und sie sollte für den 
Verlauf der deutschen Revolution verhängnisvoll werden. Durchaus nur 
als der Zweite, als kaiserlicher Feldhauptmann und Erzkämmerer wollte 
er in dem kaiserlosen Deutschen Bunde auftreten; was der große König 
einst darüber hinaus geplant hatte, war dem Nachkommen eitel Ver- 
rat; „ich will Österreich den Steigbügel halten,“ sagte er oft. Besser 
gefielen dem Könige die friedfertigen und unbestimmten Gedanken des 
Prinz-Gemahls, obgleich er eine scharfe Bemerkung über das Sitzen am 
Tische fern von Deutschland nicht unterdrücken konnte. Nur gegen zwei 
Vorschläge verwahrte er sich ernstlich. Auch er wollte die deutsche Freiheit, 
doch nimmermehr im Sinne der Liberalen. „Eine einzige wunderbare Kunst 
versteht der vulgäre Liberalismus à la Hansemann und Konsorten, die 
nämlich, ein Volk dumm und böse zu machen. Darin hat er, wie über- 
haupt in so vielem, von den Jesuiten gelernt und übertrifft sie bei weitem. 
Der Liberalismus, der namentlich jetzt Deutschland verstänkert, ist eine 
Gattungs-Religion, eine Durchgangs-Religion, die sich auf das Christen- 
tum aufsetzt, wie man einst Ludwig XVI. die Galeerensklaven-Mütze auf- 
setzte, um seine Salbung zu verwischen; und sie ist ein Aberglaube ver- 
öchtlichster Art, da sie eine Volkswillens-Anbetung als ihr Wesen predigt, 
ein Götzendienst hundertmal ärger als der des Baal und der Astarte, denn
	        
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