694 V. 9. Der Niedergang des Deutschen Bundes.
bei der Verehrung dieser war das Volk doch durch falsche Wunder und
Gaukeleien verführt. Der Volksanbetung aber widersagt brüllend die
Geschichte der Menschheit seit 6000 Jahren!!!“ Zum zweiten erklärte
der König für unmöglich, daß Deutschlands Fürsten und Fürstchen je—
mals etwas von ihren Souveränitätsrechten aufgeben könnten: „Das
tun nun einmal die Herren nicht. Für den Bund sollten sie es aller—
dings, für Preußen sollen sie es so wenig und noch weniger als für
Osterreich.“*) Er glaubte also, seine Bundesreformpläne, die doch alle—
samt eine starke Beschränkung der Territorialgewalten voraussetzten,
würden sich ganz von selbst verwirklichen, durch die freie Übereinstimmung
aller 38 Souveräne.
In gleichem Sinne antwortete Canitz. Er spottete über „den Auf-
satz, welcher als das beste Mittel zur Kräftigung des Deutschen Bundes
die Amputation seines mächtigsten Gliedes anrät; diese Kur würde, wie
manche allopathische Mixtur, viel schlimmer sein als das zu heilende
Ubel.“ Dann gab er dem Vermittler Bunsen den deutlichen Wink: „daß
unter allen jetzt lebenden Regenten keiner weniger fremder Ideenlie-
feranten bedarf als der König unser allergnädigster Herr.“*) Die Be-
rechtigung der durch den Vereinigten Landtag so mächtig angeregten Ideen
der Nationalität und der ständischen Verfassung stellte er nicht in Ab-
rede; doch leider seien sie durch Deutschlands innere Feinde zu einem
Losungsworte der Umwälzung geworden; darum hoffe sein König, „daß
die deutschen Fürsten im festen Zusammenhalten und Anschließen an die
mächtige Stütze des Bundes keine Gefahr, sondern vielmehr die Gewähr
für ihre eigenen Rechte erkennen mögen.“)
So unsicher stand der preußische Hof der anschwellenden nationalen
Bewegung gegenüber: voll guten Willens freilich, aber ohne Verständnis
für die Macht der liberalen Ideen, und — was in der Politik aller Schande
Anfang ist — ohne hohen Ehrgeiz. Mit der freien Zustimmung Oster-
reichs und aller Souveräne hoffte der König „die teure Institution des
Deutschen Bundes, die letzte Stütze der Zukunft“ — wie sein Radowitz
sich ausdrückte — zur Erfüllung „ihrer welthistorischen Aufgabe“ in den
Stand zu setzen. ) Unablässig brütete er über diesen Entwürfen; es lag
aber in der Natur der Dinge, daß sie noch viel langsamer reiften als
seine ständischen Pläne. Seit langem schon verhandelte Canitz mit Metter-
nich über die Bundespolitik, bald brieflich, bald mündlich durch den Baron
v. Werner, den die k. k. Staatskanzlei jetzt „wie das liebe Brot brauchte.
Er gehört“, so schrieb sein greiser Gönner, „zu den Treuen, aber zugleich
*) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 11. Nov. 1847.
**) Canitz an Bunsen, 9. Nov. 1847.
*) Canitz an Radowitz, 16. Aug. 1847.
)Radowitzs Bericht, 5. Jan. 1847.