Zerfall des Bundes der Westmächte. 709
ein historisches Gutachten ausarbeiten, das dieser wohlbegründeten Rechts-
ansicht durchaus zustimmte. ) Schließlich drang doch Canitz durch mit
seinem nüchternen Rate: wir wollen nicht Frankreichs Vorgehen billigen,
„aber auch uns nicht von Palmerston ins Schlepptau nehmen lassen“
in einer Sache, die England unter aller Kritik behandelt hat.“) Die
Unsauberkeit dieser spanischen Händel mußte den stolzen Höfen des Ostens,
die den politischen Anstand doch immer gewahrt hatten, durchaus ekelhaft
erscheinen, und Canitz schrieb verächtlich: „Der Ehrenkönigstitel für den,
wie man sagt, schlechten Beschäler der Königin von Spanien ist auch eine
Geburt der Jetztzeit.“*
Also ward Palmerston von den Ostmächten kalt abgewiesen, und nun-
mehr entschloß er sich, wie er dem allezeit gläubigen Bunsen sagte, den
diplomatischen Krieg gegen Frankreich auf einer breiteren Basis zu führen,
auf der Basis der bürgerlichen und religiösen Freiheit, welche Canning vor
zwanzig Jahren auf sein Banner geschrieben hätte.#)Seine Wut gegen
Guizot zeigte sich in der Krakauer Zwistigkeit, wo er jeden gemeinsamen
Protest der Westmächte hintertrieb, sie zeigte sich in Pera und Athen, wo
die Gesandten der beiden Mächte beständig miteinander rangen, sie zeigte
sich am deutlichsten in Portugal, wo Palmerston einen neuen Aufstand
gegen die gute Königin Maria sogar mit den Waffen unterstützte und
schließlich die grausame Handelsherrschaft Englands fester denn jemals
aufrichtete. —
Aber auch Mitteleuropa bot der Stellen genug, wo der Lord Feuer-
brand die Minen der Revolution legen konnte. Gerade die Macht, die
bisher in der Staatengesellschaft ein unnatürliches Übergewicht behauptet
hatte, zeigte sich jetzt unter allen am schwächsten; in den anderen Groß-
mächten bekämpften sich nur Parteien, in Österreich schien der Bestand
des Gemeinwesens selber bedroht. Die alte Wahrheit, daß ein lebendiges
Nationalgefühl die sicherste Grundlage aller politischen Freiheit bleibt,
mußte sich an dem Völkergemisch des Donaureichs noch viel greller offen-
baren als an dem dänischen Gesamtstaate; sobald der alte Absolutismus
erschlaffte und die konstitutionellen Ideen sich regten, erwachten auch not-
wendig die zentrifugalen Kräfte in diesem Gemeinwesen, von dem die Lom-
barden sagten: es ist kein Staat, sondern nur eine Familie. Unter allen
den Nationalitäten, welche dem Kaisertum angehörten, gebot keine, nicht
einmal die Gesamtheit der Slawenstämme, auch nur über die Mehrheit
der Kopfzahl, und unter allen waren nur zwei gut österreichisch gesinnt:
die Deutschen, die doch kaum ein Viertel der Gesamtheit ausmachten,
*) König Friedrich Wilhelm, Marginalnote für Thile, 25. Sept.; L. Ranke, Denk-
schrift über den Utrechter Frieden, Nov. 1846.
**) Canitz an Rochow, 21. Okt. 1846.
*?"*) Canitz an Rochow, 31. Okt. 1846.
) Bunsens Bericht, 6. April 1847.