Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Zerfall des Bundes der Westmächte. 709 
ein historisches Gutachten ausarbeiten, das dieser wohlbegründeten Rechts- 
ansicht durchaus zustimmte. ) Schließlich drang doch Canitz durch mit 
seinem nüchternen Rate: wir wollen nicht Frankreichs Vorgehen billigen, 
„aber auch uns nicht von Palmerston ins Schlepptau nehmen lassen“ 
in einer Sache, die England unter aller Kritik behandelt hat.“) Die 
Unsauberkeit dieser spanischen Händel mußte den stolzen Höfen des Ostens, 
die den politischen Anstand doch immer gewahrt hatten, durchaus ekelhaft 
erscheinen, und Canitz schrieb verächtlich: „Der Ehrenkönigstitel für den, 
wie man sagt, schlechten Beschäler der Königin von Spanien ist auch eine 
Geburt der Jetztzeit.“* 
Also ward Palmerston von den Ostmächten kalt abgewiesen, und nun- 
mehr entschloß er sich, wie er dem allezeit gläubigen Bunsen sagte, den 
diplomatischen Krieg gegen Frankreich auf einer breiteren Basis zu führen, 
auf der Basis der bürgerlichen und religiösen Freiheit, welche Canning vor 
zwanzig Jahren auf sein Banner geschrieben hätte.#)Seine Wut gegen 
Guizot zeigte sich in der Krakauer Zwistigkeit, wo er jeden gemeinsamen 
Protest der Westmächte hintertrieb, sie zeigte sich in Pera und Athen, wo 
die Gesandten der beiden Mächte beständig miteinander rangen, sie zeigte 
sich am deutlichsten in Portugal, wo Palmerston einen neuen Aufstand 
gegen die gute Königin Maria sogar mit den Waffen unterstützte und 
schließlich die grausame Handelsherrschaft Englands fester denn jemals 
aufrichtete. — 
Aber auch Mitteleuropa bot der Stellen genug, wo der Lord Feuer- 
brand die Minen der Revolution legen konnte. Gerade die Macht, die 
bisher in der Staatengesellschaft ein unnatürliches Übergewicht behauptet 
hatte, zeigte sich jetzt unter allen am schwächsten; in den anderen Groß- 
mächten bekämpften sich nur Parteien, in Österreich schien der Bestand 
des Gemeinwesens selber bedroht. Die alte Wahrheit, daß ein lebendiges 
Nationalgefühl die sicherste Grundlage aller politischen Freiheit bleibt, 
mußte sich an dem Völkergemisch des Donaureichs noch viel greller offen- 
baren als an dem dänischen Gesamtstaate; sobald der alte Absolutismus 
erschlaffte und die konstitutionellen Ideen sich regten, erwachten auch not- 
wendig die zentrifugalen Kräfte in diesem Gemeinwesen, von dem die Lom- 
barden sagten: es ist kein Staat, sondern nur eine Familie. Unter allen 
den Nationalitäten, welche dem Kaisertum angehörten, gebot keine, nicht 
einmal die Gesamtheit der Slawenstämme, auch nur über die Mehrheit 
der Kopfzahl, und unter allen waren nur zwei gut österreichisch gesinnt: 
die Deutschen, die doch kaum ein Viertel der Gesamtheit ausmachten, 
*) König Friedrich Wilhelm, Marginalnote für Thile, 25. Sept.; L. Ranke, Denk- 
schrift über den Utrechter Frieden, Nov. 1846. 
**) Canitz an Rochow, 21. Okt. 1846. 
*?"*) Canitz an Rochow, 31. Okt. 1846. 
) Bunsens Bericht, 6. April 1847. 
 
	        
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