Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

710 V. 10. Vorboten der europäischen Revolution. 
und das kleine Ruthenenvolk in Galizien. Während die subgermanischen 
Stämme der Magyaren, der Slawen, der Walachen, die ihre ganze Kul- 
tur den Deutschen verdankten, jetzt, zu jugendlichem Selbstgefühl erwacht, 
ihre alten Lehrer mit dem unvermeidlichen historischen Undank belohnten, 
besaßen die italienischen Provinzen längst ihre selbständige, der deutschen 
ebenbürtige Kultur, sie blieben dem Gesamtstaate ganz fremd und waren 
nicht einmal, wie die Donaulande, durch eine geographische Notwendig- 
keit auf die anderen Kronländer angewiesen. 
In Preußen hatte der kurze Vereinigte Landtag das Bewußtsein der 
Staatseinheit wunderbar gekräftigt; in Osterreich konnten dieselben Ge- 
danken, welche den nationalen Staat Preußen stärkten, dem Bestande des 
Reichs nur gefährlich werden. Diesen einfachen Unterschied verkannte 
Metternich ganz, da er von nationalen Empfindungen nichts wissen wollte; 
er betrachtete Preußen, OÖsterreich-Ungarn, Schweden-Norwegen, Däne- 
mark-Holstein als wesentlich gleichartig zusammengesetzte Staaten, deren 
Einheit nur durch die Gesamtregierung dargestellt würde. Freiherr 
v. Andrian aber, ein Tiroler Edelmann von gemäßigt-liberaler Gesinnung, 
der „die Hervorrufung einer österreichischen Nationalität“ dringend 
wünschte, sprach in seinem vielgelesenen Buche „Osterreich und dessen Zu- 
kunft“ (1841) ehrlich aus: was in Osterreich Macht hat, ist nicht das Volk 
und die öffentliche Meinung, nicht der Adel, auch nicht die Bureaukratie, 
am wenigsten von allen der Kaiser, sondern die Gewohnheit. So stand es 
wirklich. Das greisenhafte Triumvirat der Staatskonferenz, das im Namen 
des blödsinnigen Kaisers regierte, gab kaum noch ein Lebenszeichen von 
sich. Der bequeme Erzherzog Ludwig fand Metternichs lange lehrhafte 
Vorträge sehr lästig, Graf Kolowrat aber begegnete dem Staatskanzler 
mit einem Hasse, der sich kaum noch in den Schranken gesellschaftlicher 
Höflichkeit hielt. Nach stillschweigender Übereinkunft der Triumvirn 
wurden die Beratungen der Staatskonferenz immer seltener, die Dinge 
schleppten sich weiter ohne eine wirkliche Regierung. Die Nichtigkeit der 
Zentralgewalt war so unheilbar, daß der Statthalter des Küstenlandes, 
der geistreiche Graf Franz Stadion sich endlich entschloß, seinem Kron- 
lande auf eigene Faust die dringend nötige neue Gemeindeordnung zu 
verleihen, weil aus Wien doch keine Antwort kam. Zugleich wuchs am 
Hofe die Macht der streng ultramontan gesinnten Damen. Die beiden 
bayrischen Schwestern, die Kaiserin Witwe und die Erzherzogin Sophie 
gewannen auch die bescheidene Gemahlin des regierenden Kaisers für sich; 
sie bewirkten, daß die Verlobung des Erzherzogs Stephan mit der Groß- 
fürstin Olga nicht zu stande kam, weil sie keine akatholische Erzherzogin 
dulden wollten?); sie erzwangen, daß Metternich, ganz gegen seine früheren 
  
*7) Diese an den Höfen allgemein verbreitete Ansicht wird auch in du Thils Denk- 
würdigkeiten ausgesprochen.
	        
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