710 V. 10. Vorboten der europäischen Revolution.
und das kleine Ruthenenvolk in Galizien. Während die subgermanischen
Stämme der Magyaren, der Slawen, der Walachen, die ihre ganze Kul-
tur den Deutschen verdankten, jetzt, zu jugendlichem Selbstgefühl erwacht,
ihre alten Lehrer mit dem unvermeidlichen historischen Undank belohnten,
besaßen die italienischen Provinzen längst ihre selbständige, der deutschen
ebenbürtige Kultur, sie blieben dem Gesamtstaate ganz fremd und waren
nicht einmal, wie die Donaulande, durch eine geographische Notwendig-
keit auf die anderen Kronländer angewiesen.
In Preußen hatte der kurze Vereinigte Landtag das Bewußtsein der
Staatseinheit wunderbar gekräftigt; in Osterreich konnten dieselben Ge-
danken, welche den nationalen Staat Preußen stärkten, dem Bestande des
Reichs nur gefährlich werden. Diesen einfachen Unterschied verkannte
Metternich ganz, da er von nationalen Empfindungen nichts wissen wollte;
er betrachtete Preußen, OÖsterreich-Ungarn, Schweden-Norwegen, Däne-
mark-Holstein als wesentlich gleichartig zusammengesetzte Staaten, deren
Einheit nur durch die Gesamtregierung dargestellt würde. Freiherr
v. Andrian aber, ein Tiroler Edelmann von gemäßigt-liberaler Gesinnung,
der „die Hervorrufung einer österreichischen Nationalität“ dringend
wünschte, sprach in seinem vielgelesenen Buche „Osterreich und dessen Zu-
kunft“ (1841) ehrlich aus: was in Osterreich Macht hat, ist nicht das Volk
und die öffentliche Meinung, nicht der Adel, auch nicht die Bureaukratie,
am wenigsten von allen der Kaiser, sondern die Gewohnheit. So stand es
wirklich. Das greisenhafte Triumvirat der Staatskonferenz, das im Namen
des blödsinnigen Kaisers regierte, gab kaum noch ein Lebenszeichen von
sich. Der bequeme Erzherzog Ludwig fand Metternichs lange lehrhafte
Vorträge sehr lästig, Graf Kolowrat aber begegnete dem Staatskanzler
mit einem Hasse, der sich kaum noch in den Schranken gesellschaftlicher
Höflichkeit hielt. Nach stillschweigender Übereinkunft der Triumvirn
wurden die Beratungen der Staatskonferenz immer seltener, die Dinge
schleppten sich weiter ohne eine wirkliche Regierung. Die Nichtigkeit der
Zentralgewalt war so unheilbar, daß der Statthalter des Küstenlandes,
der geistreiche Graf Franz Stadion sich endlich entschloß, seinem Kron-
lande auf eigene Faust die dringend nötige neue Gemeindeordnung zu
verleihen, weil aus Wien doch keine Antwort kam. Zugleich wuchs am
Hofe die Macht der streng ultramontan gesinnten Damen. Die beiden
bayrischen Schwestern, die Kaiserin Witwe und die Erzherzogin Sophie
gewannen auch die bescheidene Gemahlin des regierenden Kaisers für sich;
sie bewirkten, daß die Verlobung des Erzherzogs Stephan mit der Groß-
fürstin Olga nicht zu stande kam, weil sie keine akatholische Erzherzogin
dulden wollten?); sie erzwangen, daß Metternich, ganz gegen seine früheren
*7) Diese an den Höfen allgemein verbreitete Ansicht wird auch in du Thils Denk-
würdigkeiten ausgesprochen.