712 V. 10. Vorboten der europäischen Revolution.
Fürsten vorzustellen: Müßiggang ist aller Laster Anfang, dies war bisher
das Los der Landtage Osterreichs; diese ersten Regungen ständischen
Willens sind ein Zeichen politischer Gesundung; eine konservative Politik
muß die Rechte der Stände anerkennen und gesetzlich regeln, damit sie als
Stütze, nicht als Hemmnis dienen.) Auf Augenblicke fühlte auch Metter-
nich, daß man mit dem alten Systeme der Totenstille nicht mehr weiter
kam. Durch Preußens Vorgang ermutigt, veranstaltete die Regierung
(1845) die erste österreichische Gewerbeausstellung; in der kläglichen Er-
öffnungsrede des armen Kaisers war freilich weder von Osterreich noch von
einer Staatsgesinnung die Rede. Gleich nachher erschien ein Folioband
„Statistische Tabellen der österreichischen Monarchie“, natürlich nur in
wenigen Exemplaren für die hohen Beamten; doch da die fremden Ge-
sandten sich sehr wißbegierig zeigten, so verfiel Metternich schon auf die
verwegene Frage, ob man den Band nicht dem Buchhandel anvertrauen
solle.*) Es war vorbei mit der alten patriarchalischen Gemütlichkeit.
Selbst der Tiroler Landtag hallte von lebhaften Reden wider, seit die
Klerikalen sich zu einer geschlossenen Partei geschart hatten. Galizien blieb
seit der Einverleibung Krakaus in allen Tiefen aufgewühlt; drohender
denn je erklang das altnationale Sprichwort: solange die Welt Welt
bleibt, wird der Pole nie des Deutschen Bruder.
Weit folgenreicher noch wurde die zugleich nationale und liberale
Bewegung in Böhmen. Die Tschechen waren aus ihrem Schlummer längst
erwacht. Sie wendeten, wie alle wiedererstehenden Völker, ihre phantastische
Sehnsucht der ältesten Vorzeit zu und schwärmten, froh ihrer neu entdeck-
ten, echten und gefälschten Geschichtsquellen, für ihre Königin Libussa, für
die siegreichen Bauernschlachten der Hussitenkriege, für König Podiebrad
und alle die anderen Helden des vormals ruhmreichsten aller Slawenvöl-
ker; sie fanden in dem evangelischen Pfarrer Johann Kollar ihren ersten
Apostel, dann in Schaffarik, Hanka, Palacky begeisterte patriotische Ge-
lehrte, in Havlicek einen gewandten Publizisten, der durch herzzerreißende
Schilderungen des irischen Elends die Zensur zu täuschen verstand, obgleich
alle seine Leser wußten, daß er unter Irland immer das Tschechenland
meinte. Viele der mächtigen Kondottierengeschlechter, welche Kaiser Fer-
dinand II. einst in das unterworfene Böhmen verpflanzt hatte, wendeten
sich dem Tschechentum zu, desgleichen ein großer Teil des Klerus, der ja
immer, von seinem sicheren Machtgefühle geleitet, für das minder gebildete
Volkstum eintritt. Den Deutschen aber gereichte zum Unheil, daß die
Juden sich meist zu ihnen hielten und nun der wütende Judenhaß des
ausgewucherten tschechischen Landvolks den Deutschenhaß noch verschärfte.
Auf ihrer weit in das deutsche Land hineingeschobenen Vorpostenstellung
*) Canitzs Bericht, 15. Mai 1845.
**) Canitzs Bericht, 31. Mai 1845.