716 V. 10. Vorboten der europäischen Revolution.
Auf diesem Heere ruhte für jetzt Osterreichs ganze Zukunft. Das
zeigte sich nirgends greller als in Italien, das schon seit Jahren tat—
sächlich nur durch einen beständigen Belagerungszustand im Zaume ge—
halten werden konnte. Ein erhebender Anblick, wie nunmehr die beiden
großen Nationen Mitteleuropas zu gleicher Zeit der Erfüllung ihrer Ge—
schicke, dem leuchtenden Ziele der nationalen Einheit zustrebten, beide
durchdrungen von dem stolzen Gefühle, daß sie den Idealismus in der
Menschheit vertraten. Diesseits wie jenseits der Alpen zeigte die natio—
nale Bewegung manche verwandte Züge: die gleiche jugendliche Be—
geisterung und die gleiche phantastische Unklarheit. Die Macht und die
Berechtigung der republikanischen Erinnerungen in diesem klassischen Lande
der Städte erschwerte den Italienern mehr als den Deutschen, die Wahn—
gebilde des Radikalismus zu durchschauen, der hier noch immer in Mazzini
einen unvergleichlich kühnen und geistvollen Apostel besaß. Andererseits
konnten sie schneller als die Deutschen den letzten Grund ihrer Leiden er—
kennen. Deutschland litt unter einer verhüllten Fremdherrschaft, deren tiefe
Unwahrheit erst von wenigen hellen Köpfen ganz gewürdigt wurde. Italien
schmachtete unter dem Drucke einer auswärtigen Macht, welche der alten
Kultur der Halbinsel immer fremd bleiben mußte; unter allen seinen
Fürstengeschlechtern war nur eines, das Haus Savoyen italienisch. Jeder
Patriot hörte mit brennender Scham die Mahnung Cäsar Balbos: die Un-
abhängigkeit ist für eine Nation, was die Schamhaftigkeit für ein Weib —
bis endlich Giusti allen aus dem Herzen sang: Delenda Carthago! Wir
wollen keine Osterreicher!
Seit die Trikolore des Königreichs Italien die Parteifarben der Car-
bonari ganz verdrängt und die ernsten, tatkräftigen Stämme des Nordens,
Piemontesen und Lombarden, den hitzköpfigen Südländern die Leitung
der nationalen Politik aus der Hand genommen hatten, begannen die
Köpfe sich zu ernüchtern. Piemont, das geschmähte Böotien der Halb-
insel war endlich erwacht und schenkte den Italienern ihre wirksamsten
politischen Schriftsteller. Der Abbate Gioberti predigte in seinem Buche
vom Primat Italiens eine neue welfische Lehre: er feierte das von allen
Patrioten seit Dantes und Machiavells Zeiten verwünschte Papsttum
als eine gloria italiana, genau so wie viele deutsche Enthusiasten, König
Friedrich Wilhelm voran, den natürlichen Feind der nationalen Einheit,
das Haus Osterreich noch immer als das heilige Erzhaus verehrten.
Dennoch förderten diese traumhaften neoguelfischen Doktrinen die politische
Erziehung der Nation: sie zeigten doch zum ersten Male die Möglichkeit,
daß Italien auf gesetzlichem Wege, ohne gewaltsamen Umsturz, durch einen
Fürstenbund unter dem Primat des Papstes, wieder erstarken könne. Dar-
um mochten auch die beiden tapferen piemontesischen Edelleute, die jetzt
über Italiens Hoffnungen schrieben, den Gedanken des phantastischen
Abbate nicht geradehin widersprechen: Graf Cäsar Balbo mahnte mit alt-