Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

720 V. 10. Vorboten der europäischen Revolution. 
für den freisinnigen neuen Papst, und in allen Parteien fanden sich doch 
viele geistreiche Männer, welche die Wahlverwandtschaft des deutschen und 
des italienischen Genius erkannten. Die Zeit lag ja noch nicht weit zurück, 
da alle hochgebildeten Deutschen zwei absolute ästhetische Ideale schlechthin 
verehrt hatten: Italien und Shakespeare. Niemand vielleicht empfand 
diese ästhetische Bewunderung für Italiens Land und Leute so lebhaft wie 
König Friedrich Wilhelm. Gleich den romantischen Malern der Corne— 
lianischen Schule dachte er sich unter den Römern ein „Königsvolk“ von 
angeborenem Adel. Alles dort im schönen Süden erschien ihm edler, vor— 
nehmer, als die grobe nordische Welt, sogar der italienische Liberalismus, 
der doch, nach romanischer Weise, weit tiefer als die deutschen Liberalen 
in den Banden der gefürchteten „Ideen von 89“ befangen war. Der König 
liebte „den herrlichen Pontifex“ und pries Pius glücklich, weil er nicht wie 
Deutschlands Fürsten mit der Macht der Gemeinheit zu ringen habe. 
Seinem Bunsen schrieb er: „Was sich dort Liberalismus nennt, wie es 
nach Azeglios Werkchen erscheint, das ist allerdings mein eigenes Glaubens- 
bekenntnis, und ich bin ein warmer Anhänger der italienischen Bewegung. 
Aber die Azeglioschen Liberalen wären in Deutschland auf der äußersten 
Rechten der vernünftigen, vorwärts wollenden Konservativen.“ Darum 
ließ er durch seinen Gesandten Usedom, der gleich ihm selber für den 
Papst und die Italiener begeistert war, den römischen Stuhl zu bedacht— 
samen Reformen ermuntern; als die Hofburg gegen den liberalen Papst 
schärfer auftrat und sogar, kraft zweifelhafter Rechtstitel, die Grenzstadt 
Ferrara besetzen ließ, da bemühte sich Friedrich Wilhelm redlich, in dem 
Streite zu vermitteln. Von der Glut des nationalen Hasses, von der 
Notwendigkeit des nahenden Unabhängigkeitskrieges ahnte er nichts, und 
daß Preußen je mit Piemont gemeinsam gegen Osterreich vorgehen könnte, 
lag gänzlich außerhalb seines Gedankenkreises. Wie er den mit Osterreich 
verketteten Deutschen Bund für eine hocherfreuliche Institution hielt, so 
wollte er auch durchaus nicht begreifen, warum die Italiener nicht eben— 
falls mit dem weisen Hause Osterreich in Frieden leben sollten. über die 
geheiligten Wiener Verträge durften seine geliebten Welschen nimmer 
hinausgehen. Als die revolutionäre Leidenschaft nun doch unaufhaltsam 
anschwoll, da klagte er schmerzlich: „Schon regt sich der gemeine, der 
schmeißfliegliche Liberalismus, und wir erleben dort Trauriges, und 
bald!“*) Indessen blieb er in der Rolle des wehmütigen Beobachters. 
Weit näher ward Frankreich durch die italienischen Unruhen bedrängt. 
Seit die Entente cordiale zersprengt war und Palmerston Rache schnob 
wegen der spanischen Heiraten, bewarb sich Ludwig Philipp noch zudring— 
licher denn zuvor um Osterreichs Gunst. Zweimal während dieser letzten 
bangen Monate sendete er den von Braunschweig her berüchtigten geheimen 
  
*) König Friedrich Wilhelm an Bunsen, 11. Nov. 1847.
	        
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