Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Italien und die Westmächte. 721 
Agenten Klindworth nach Wien um ein vollständiges Einverständnis vor— 
zubereiten, und im Kampfe gegen Italiens Einheit waren die beiden Höfe 
allerdings einig. Wie die Hofburg ihr lombardo-venetianisches Königreich 
nur bei fortdauernder Unmündigkeit der Italiener behaupten konnte, so 
hielten die Tuilerien fest an dem altfranzösischen Grundsatze, daß Frank— 
reichs Macht auf der Nichtigkeit seiner Nachbarvölker beruhe; und zu 
Metternichs Wohlgefallen beschwor Guizot die Reformpartei der Halb— 
insel, der Bewegung einen römischen, toskanischen, piemontesischen Charak— 
ter zu bewahren, denn eine italienische Frage wäre die Revolution! Gleich— 
wohl konnte die Staatskunst des französischen Neides mit der Politik der 
österreichischen Herrschsucht nicht vollkommen übereinstimmen; der begehr— 
liche Wetteifer der beiden Nachbarmächte um die Vergewaltigung der Halb— 
insel wurzelte zu tief in einer alten Geschichte. Auch vermochte Ludwig 
Philipp, obgleich er jetzt immer „die Politik des Niederhaltens“ im Munde 
führte, den revolutionären Ursprung seines Regiments doch nicht ganz 
zu verleugnen. „Diese Regierung,“ so sagte Metternich zu Canitz, „kann 
nicht stark sein, wenn es die Revolution zu bekämpfen gilt; sie kann sich 
nicht mit uns auf eine Linie stellen, das wäre wider die Natur.“*) Und 
diesen Argwohn gab er trotz der zur Schau getragenen hochkonservativen 
Gesinnungen des Tuilerienhofs niemals ganz auf; noch im Herbst 1847 
nannte er den Bürgerkönig und seinen Minister beide „Utopisten“. In 
der Tat blieb Ludwig Philipps Haltung gegenüber den Italienern immer 
zweideutig. Er versammelte zum Schutze der westlichen Herrschaft des 
Papsttums insgeheim an der piemontesischen Grenze das kleine Heer, das 
zwei Jahre darauf wirklich in Rom einrücken sollte, und ließ den König 
Karl Albert von Sardinien, den er als geborenen Träger des italienischen 
Einheitsgedankens fürchtete, an den kleinen Höfen gründlich verdächtigen. 
Zugleich sendete er Flinten für die römische Nationalgarde und empfahl 
den Kabinetten der Halbinsel konstitutionelle Reformen. In Rom vertrat 
ihn Graf Rossi, ein hochsinniger Carrarese, der in der Schweiz und in 
Paris als Staatsmann und Gelehrter im Sinne der französischen Dok— 
trinäre gewirkt hatte und jetzt die sonderbare Rolle eines Gesandten im 
eigenen Vaterlande spielte. Rossi hoffte auf den italienischen Fürstenbund 
unter päpstlichem Primat und mochte dem geliebten Pius wohl zuweilen 
mehr sagen, als sein Minister billigen konnte. In Wien galt er für 
einen nichtswürdigen Jakobiner, und schon dieser eine Mann machte ein 
festes Einverständnis zwischen den beiden Höfen unmöKglich. 
So konnte denn Palmerston prahlerisch als großmütiger Beschützer 
Italiens auftreten. Auch er wurde von dem hilflosen Pius um Rat 
angegangen, und der große katholische Kanzelredner Londons, Bischof 
Wiseman, der die Anfrage überbrachte, deutete leise an, daß der Papst 
  
*) Canitzs Bericht, 5. März 1845. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 46
	        
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